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ETCS-Einführung in Deutschland

„Wir brauchen klare Steuerung und verlässliche Finanzierung“

Foto: VDV
Foto: VDV

Der erste ETCS-Kongress in Fulda widmet sich allen relevanten Fragestellungen rund um das Europäische Zugbeeinflussungssystem. Dazu gehören sowohl technische, politische, als auch finanzielle Aspekte, die für die Implementierung und den Betrieb von entscheidender Bedeutung sind. Vier Fragen an Martin Schmitz vom Gastgeber VDV.

Deine Bahn: Warum veranstaltet der VDV gerade jetzt erstmals einen ETCS-Kongress?

Martin Schmitz
Martin Schmitz

Martin Schmitz: Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt, weil die Umsetzung von ETCS in Deutschland aktuell an einem kritischen Punkt steht: Trotz jahrelanger Vorarbeit fehlt weiterhin eine verbindliche nationale Steuerung sowie die notwendige finanzielle Absicherung. Gleichzeitig läuft der Zeitrahmen zur Umsetzung der EU-Vorgaben – bis 2030 für das Kernnetz, bis 2040 für das erweiterte Netz – unaufhaltsam weiter. Der Bund ist hier in der Verantwortung, endlich für verlässliche politische Rahmenbedingungen zu sorgen. Der Kongress soll deshalb Impulse setzen, um die notwendige Koordination, die technische Standardisierung und die finanzielle Förderung endlich verbindlich auf den Weg zu bringen.

Warum hinkt Deutschland bei der ETCS-Umsetzung hinterher – und was muss geschehen?

Deutschland hinkt seinen selbst gesetzten Zielen hinterher, weil es an klarer Steuerung, einheitlichen technischen Standards und vor allem an verlässlicher Finanzierung fehlt. Obwohl ETCS auf europäischer Ebene als interoperabler Standard konzipiert wurde, droht die Einführung in Deutschland an fehlender Abstimmung zwischen Infrastrukturbetreibern, Fahrzeughaltern und Politik zu scheitern. Nur drei der neun Güterverkehrskorridore haben bislang einen konkreten Umrüstplan. Der Bund muss jetzt Verantwortung übernehmen, indem er eine zentrale Koordinierungsstelle einrichtet und eine langfristig abgesicherte Finanzierungsstrategie vorlegt. Nur so lassen sich Planungssicherheit und Systemverantwortung zusammenbringen.

Welche Anreize brauchen EVU, um ihre Fahrzeuge auf ETCS umzurüsten?

Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) benötigen vor allem Planungssicherheit und eine verlässliche Finanzierungsperspektive. Ohne klare politische Zusagen und ein strukturiertes Förderprogramm sind Investitionen in die Fahrzeugnachrüstung für viele Unternehmen wirtschaftlich nicht tragbar. Die Umstellung betrifft bis zu 21.000 Fahrzeuge, verteilt auf über 400 EVU und mehr als 500 Halter. Ohne Koordinierung bleibt jedes Investitionsvorhaben ein Risiko. Erst wenn Finanzierung, Umrüstung der Infrastruktur und technische Anforderungen zusammen gedacht und gesteuert werden, entsteht ein inves-titionsfreundliches Umfeld.

Welchen Mehrwert verspricht sich der VDV vom ETCS-Kongress – was sind die wichtigsten Themen?

Der VDV erwartet vom Kongress, dass das Thema ETCS in seiner ganzen Systemrelevanz diskutiert wird: als technisches Modernisierungsprojekt, als verkehrspolitische Weichenstellung und als wirtschaftliche Herausforderung. Der größte Mehrwert liegt in der Zusammenführung aller relevanten Akteure – von der Politik über die Bahnunternehmen bis hin zu Technik- und Finanzierungsverantwortlichen. Die zentrale Botschaft lautet: ETCS kann nur erfolgreich eingeführt werden, wenn Koordination, Standardisierung und Förderung endlich zusammengedacht und gemeinsam umgesetzt werden.


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