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Brevo-App

Digitale Unterstützung für sicheres Abstellen von Schienenfahrzeugen

Bremsprüfung in einer Zugbildungsanlage
Bremsprüfung in einer Zugbildungsanlage (Foto: DB AG/Volker Emersleben)

Das sichere Abstellen der Schienenfahrzeuge ist eine sicherheitsrelevante Aufgabe im Betriebsdienst und betrifft Triebfahrzeugführende, Zugbegleitpersonal, Wagenmeister*innen sowie Rangierpersonal. Der vorliegende Beitrag stellt eine App vor, welche die Berechnung der erforderlichen Festhaltekraft bzw. die Bestimmung der Anzahl der erforderlichen Sicherungsmittel – etwa Radvorleger oder Hemmschuhe – praxistauglich und regelkonform unterstützt.

Der Arbeitskontext beim Abstellen ist anspruchsvoll: Gleisneigungen wechseln, Fahrzeugkonfigurationen unterscheiden sich und Zeitdruck ist häufig gegeben. Entscheidungen über die erforderliche Festhaltekraft und über geeignete Sicherungsmittel für das sichere Abstellen der Fahrzeuge müssen dabei regelkonform getroffen werden.

Traditionelle, analoge Rechenwege anhand der Tabelle des Anhanges 915.0101A01 der Bremsvorschrift „Ril 91501 – VDV-Schrift 757“ können in der Praxis zu Fehlern führen, insbesondere bei Konstellationen, die in den Tabellen nicht abgebildet sind. Eine digital unterstützte Ermittlung reduziert diese Unsicherheiten und beschleunigt die Entscheidungsfindung.

Regelwerksrahmen und Berechnung nach VDV-Schrift 757/Ril 91501 [1]

Das sichere Bedienen und Prüfen der Bremsen der Schienenfahrzeuge im Betrieb zählt zu den zentralen Voraussetzungen für einen verlässlichen und sicheren Eisenbahnbetrieb. Die gesetzlichen Grundlagen, insbesondere § 4 Abs. 3 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG)[2] sowie § 35 Abs. 7 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO),[3] und der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung für Schmalspurbahnen (ESBO),[4] benennen die Verantwortung der Eisenbahnen, liefern jedoch keine konkreten Handlungsanweisungen für die praktische Bedienung und Prüfung der Bremsen. Diese Anforderungen wurden schon bisher durch betrieblich-technische Regelwerke der Eisenbahnen konkretisiert.

Die „Richtlinie 91501/VDV-Schrift 757 Bremsen im Betrieb bedienen und prüfen – Bremsvorschrift (Brevo)“ definiert im Interesse eines einheitlich organisierten Eisenbahnwesens verbindliche Anforderungen für die praktische Umsetzung. Damit konkretisiert sie die in § 4 Abs. 3 AEG in Verbindung mit § 35 Abs. 7 EBO bzw. § 35 Abs. 7 ESBO festgelegten Verantwortlichkeiten der Eisenbahnunternehmen und stellt eine einheitliche Grundlage für die sichere Bedienung und Prüfung von Bremsen im Betrieb bereit.

Die erforderliche Festhaltekraft wird unter Berücksichtigung des Fahrzeuggewichts und der Neigung anhand der Tabelle des Anhanges 915.0101A01 der Bremsvorschrift „Ril 91501/VDV-Schrift 757“ ermittelt. Es müssen dann so viel Feststellbremsen angezogen werden, bis die erforderliche Festhaltekraft erreicht ist.

Sind nicht ausreichend Feststellbremsen vorhanden bzw. ist die Sicherung ausschließlich mit Radvorlegern oder Hemmschuhen vorgesehen, wird aus der Berechnung die Anzahl dieser erforderlichen Sicherungsmittel ermittelt.

Sollen abweichend von 915.0101A01 Festhaltekräfte bzw. die Anzahl auszulegender Sicherungsmittel für andere Massen oder Neigungen berechnet werden, müssen die Formeln aus der Richtlinie 91511,[5] die ergänzenden oder abweichenden Regeln zu den Modulen 915.0101-0107 der Bremsvorschrift (BreVo) aufstellen und bekanntgeben, verwendet werden.

Tabelle: Festhaltekraft in Abhängigkeit von Neigung und Radsatzanzahl
Tabelle: Festhaltekraft in Abhängigkeit von Neigung und Radsatzanzahl (Quelle: [1])
Dabei sollen zum Teil zwei verschiedene Berechnungen parallel durchgeführt und das größere der beiden Ergebnisse kommt zur Anwendung. Allerdings ist die Anwendung der Formeln in der Praxis komplex, sodass der Einsatz der Tabelle bevorzugt wird.

Brevo-App

Abbildung  1: Brevo-App-Icon
Abbildung  1: Brevo-App-Icon

Das analoge (tabellarische) Verfahren ist natürlich aus Sicht der Ermittlung der erforderlichen Festhaltekraft oder der Anzahl der auszulegenden Sicherungsmittel sicher. Allerdings ist das Verfahren zeitaufwendig und kann dazu führen, dass mehr Sicherungsmittel als nötig ausgelegt werden muss. Vor diesem Hintergrund ist die Idee der Brevo-App entstanden, welche die Kolleg*innen bei der Berechnung der erforderlichen Festhaltekraft bzw. der Bestimmung der Anzahl der erforderlichen Sicherungsmittel unterstützen muss.

Die App wurde auf Basis der Richtlinie 91501/VDV-Schrift 757 bzw. der Richtlinie 91511 entwickelt. Dabei wurden die Tabellen, Formeln, Flussdiagrammen und Ableitungsregeln dieser Richtlinien in der Brevo-App implementiert und in Form eines interaktiven und anwenderfreundlichen Rechenverfahren umgesetzt. Zentrale Einflussgrößen wie maßgebende Neigung im Abstellgleis, Fahrzeuggewicht und Radsatzanzahl fließen in die Berechnung der erforderlichen Festhaltekraft bzw. die Bestimmung der Anzahl der erforderlichen Sicherungsmittel ein.

Während Tabellen keine exakten Übereinstimmungen zu den vorzufindenden Fahrzeugkonfigurationen liefern, berechnet die Brevo-App Zwischenwerte regelkonform und präzis, um die Sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig übermäßigen Ressourceneinsatz zu vermeiden.

Die App im Betriebsdienst: Arbeitsweise, Rollen und Anwendungsfälle

Die App ist für den unmittelbaren Einsatz im Betrieb konzipiert und adressiert die gesamte Zielgruppe, die am sicheren Abstellen der Fahrzeuge beteiligt ist. Das sind die Mitarbeitenden im Betriebsdienst, die für die Sicherung der Fahrzeuge gegen unbeabsichtigte Bewegung verantwortlich sind, z. B. Triebfahrzeugführende, Zugbegleitpersonal, Wagenmeister*innen oder das Rangierpersonal (Abbildung 2).

Bild 2: Einige Benutzeroberflächen der App
Abbildung 2: Einige Benutzeroberflächen der App (Quelle: H. Tavakolinik)

Die Arbeitsweise in der App folgt einem stringenten Ablauf. Zunächst werden die maßgebenden Eingangsparameter erfasst. Anschließend führt die App den Anwender anhand eines Datenflussdiagramms aus dem Regelwerk und erteilt ihm dabei gezielte Anweisungen.

Wenn der Anwender alle Schritte und Anweisungen erfolgreich durchgeführt hat, berechnet die App die erforderliche Festhaltekraft und leitet daraus die Anzahl festzustellender Handbremsen ab (Abbildung 3).

Bild 3: Eingabemaske und Ergebnisansicht für die Berechnung der Festhaltekraft – Einflussgrößen: Gleisneigung, Fahrzeuggewicht, Abstelldauer
Abbildung 3: Eingabemaske und Ergebnisansicht für die Berechnung der Festhaltekraft – Einflussgrößen: Gleisneigung, Fahrzeuggewicht, Abstelldauer (Quelle: H. Tavakolinik)

Wenn die Sicherung ganz oder teilweise über Sicherungsmittel erfolgen muss, kann die erforderliche Anzahl an Radvorlegern oder Hemmschuhen in einem nächsten Schritt in der App ermittelt werden (Abbildung 4).

Bild 4: Eingabemaske und Ergebnisansicht für die Berechnung der Sicherungsmittel – Einflussgrößen: Radsatzanzahl, Gleisneigung, Radsatzlast
Abbildung 4: Eingabemaske und Ergebnisansicht für die Berechnung der Sicherungsmittel – Einflussgrößen: Radsatzanzahl, Gleisneigung, Radsatzlast (Quelle: H. Tavakolinik)

Ein wesentlicher Vorteil der App bei der Berechnung der erforderlichen Anzahl an Radvorlegern oder Hemmschuhen gegenüber der tabellarischen Methode besteht darin, dass in der App die durchschnittliche Radsatzlast ggf. eingegeben werden kann, während die Tabellenwerte auf einer festen Radsatzlast von 22,5 t beruhen. Dadurch lassen sich Zwischenwerte präzise berechnen und in vielen Fällen eine geringere Anzahl benötigter Sicherungsmittel (Radvorleger, Hemmschuhe) ermitteln, ohne Abstriche bei Regelwerkskonformität und Sicherheitsniveau.

Der Mehrwert zeigt sich im Alltag an drei Stellen: die Sicherheit steigt durch regelkonforme, reproduzierbare Ergebnisse, die Effizienz erhöht sich durch reduzierte Rechenzeiten und die Ressourcenschonung nimmt zu, weil übermäßige Sicherungsmittel vermieden werden. Die App stellt damit einen durchgängigen, rollenübergreifenden Workflow bereit.

Qualitätssicherung, Sicherheit und Grenzen der Anwendung

Die Integration des Regelwerks in die App stellt sicher, dass die Berechnungen den in der Praxis geltenden Vorgaben entsprechen. Bei den Eingaben, die außerhalb des tabellarischen liegen, unterstützt die Anwendung mit genauen Ergebnissen und verweist auf die jeweils gültigen betrieblichen Vorgaben.

Die DB Systemtechnik hat die Algorithmen anhand typischer Betriebsszenarien und belastbarer Referenzfälle verifiziert und kontinuierlich qualitätsgesichert. Darüber hinaus wurde die App vor der Veröffentlichung in verschiedenen Versuchsphasen von unterschiedlichen Proband*innen (Kolleg*innen aus dem Betrieb) getestet.

Der Markteinführung ging eine interne Qualitätskontrolle mit Validierung und Freigabe der Funktionalität voraus. Diese Qualitätssicherung wird zudem im Betrieb fortgeführt und fließt in die Weiterentwicklung ein. So stellen wir sicher, dass Anpassungen am Regelwerk, neue Fahrzeugkonstellationen und geänderte Einsatzszenarien zeitnah und verlässlich in der App abgebildet werden.

Es ist zu erwähnen, dass die App nicht die Verantwortung der Mitarbeitenden im Betrieb ersetzt, sondern eine belastbare, standardisierte Entscheidungsgrundlage liefert. Grenzen der Anwendung entstehen dort, wo vorausgesetzte Eingangsgrößen unvollständig oder fehlerhaft eingegeben werden oder wo betriebliche Sonderregelungen eine abweichende Sicherungsstrategie vorsehen. In solchen Fällen bleibt die fachliche Prüfung durch die Verantwortlichen unerlässlich.

Fazit und Ausblick

Die Brevo-App ist der Einstieg in eine umfassendere Digitalisierung sicherheitsrelevanter Bremsbetriebsprozesse. Als Entwickler und Herausgeber stellt die DB Systemtechnik GmbH sicher, dass die App sowohl dem geltenden Regelwerk entspricht als auch die korrekten Ergebnisse als Grundlage für die Ausführung sicherheitsrelevanter Tätigkeiten im Bahnbetrieb liefert. Damit wird Verlässlichkeit in der Anwendung – heute und mit Blick auf zukünftige Funktionserweiterungen geschaffen.

Die erforderliche Sicherheit bleibt dabei jederzeit gewährleistet. Die Ermittlung der notwendigen Festhaltekraft und der benötigten Sicherungsmittel (Radvorleger, Hemmschuhe) erfolgt durchgängig nach den Regeln der einschlägigen Bremsvorschrift. Das Ergebnis ist eine reproduzierbare, regelkonforme Grundlage, auf die sich die Mitarbeitenden im Betriebsdienst in Übergabe- und Prüfsituationen stützen können.

Ein besonderer Vorteil der digitalen Umsetzung ist die präzise Berechnung von Zwischenwerten. Auch Kombinationen aus Neigung und Fahrzeuggewicht bzw. Radsatzanzahl, die in Tabellen nicht explizit aufgeführt sind, werden auf Basis der hinterlegten Formeln zuverlässig interpoliert. Das erhöht die Genauigkeit der Ergebnisse und vermeidet zugleich den unnötigen Einsatz von Sicherungsmitteln, ohne Abstriche bei der Sicherheit.

Auf dieser Basis treiben wir die Digitalisierung weiterer Betriebsprozesse voran. Kurzfristig liegt der Schwerpunkt auf der Ausweitung der App-Nutzung und der kontinuierlichen Verbesserung von Bedienbarkeit und Plausibilitätsunterstützung. Zudem ist eine iOS-Version geplant, deren Bereitstellung in den nächsten Monaten erfolgt.

Mittel- bis langfristig ist die Integration in betriebliche Nachweis- und Dokumentationsführung geplant. Ferner soll die Brevo-App realitätsgenaue Angaben zur maßgebenden Gleisneigung in Betriebsstellen und der freien Strecke bereitstellen, damit die Festhaltekraft noch genauer ermittelt werden kann.

Quellen
[1] DB-Richtlinie 915.0101-915.0107 / VDV-Schrift 757 Teil B, „Bremsen im Betrieb bedienen und prüfen – Bremsvorschrift“; Aktualisierung 10, gültig ab 11.12.2022.

[2] Allgemeines Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 17. Juli 2025 (BGBl. 2025 I Nr. 164) geändert worden ist.

[3] Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 (BGBl. 1967 II S. 1563), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 5. April 2019 (BGBl. I S. 479) geändert worden ist.

[4] Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung für Schmalspurbahnen vom 25. Februar 1972 (BGBl. I S. 269), die zuletzt durch Artikel 519 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist.

[5] DB-Richtlinie 91511, „Bremsen im Betrieb bedienen und prüfen (abweichende Regeln zur 91501)“, Version 4.0 – Gültig ab 11.12.2022.


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