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2. VDV-Fachkräftekonferenz

Neue Erkenntnisse und Ansätze gegen den Fachkräftemangel

Harald Kraus auf der 2. VDV-Fachkräftekonferenz in Berlin
Harald Kraus auf der 2. VDV-Fachkräftekonferenz in Berlin (Foto: Ad Hoc PR)

Schnell wurde auf der 2. Fachkräftekonferenz des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) deutlich, dass der Fachkräftemangel die Branche auch in den kommenden Jahren massiv beschäftigen wird. Welche Ansätze, Methoden und Handlungsstrategien geeignet sind, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, welche die Konjunktur und angestrebte Verkehrswende gefährden, damit setzten sich vom 20.-21. Februar in Berlin rund 100 Fachleute aus der Eisenbahn- und Personalbranche auseinander.

In Form von Podiumsdiskussionen, Workshops und Keynotes fokussierten sich die Teilnehmenden vor allem am ersten Veranstaltungstag auf die Themen Personalgewinnung und Personalbindung, sowie am zweiten Tag auf die Themen New Work und Gesundheit der Mitarbeitenden.

Ein Blick in den Rückspiegel

Der Fachkräftemangel ist schon heute ein gewichtiger Hemmschuh für die Umsetzung der Verkehrswende und bedroht den Betrieb und Ausbau öffentlicher Mobilitätsangebote und dadurch langfristig auch die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

„46,2 Millionen Menschen sind derzeit in Erwerbsbeschäftigung, so viele wie noch nie in Deutschland, aber so viele werden es nicht bleiben“, eröffnete Thomas Besse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Neubrandenburg, seine Rede als einer der ersten Keynote-Speaker*innen und lenkte den Fokus des Publikums auf die demografische Entwicklung Deutschlands, die diese scheinbar positive Konjunkturentwicklung konterkarierte.

Besse schloss damit unter Darlegung statistischer Kennzahlen und Prognosen inhaltlich an die Eröffnungsrede des Vorstandsvorsitzenden der VDV-Akademie und Vorsitzenden des VDV-Personalausschusses, Harald Kraus, an, der mit seiner Ausgangsfrage den Finger in die Wunde legte, “welche Wege nun effektiv gegangen werden müssten, um die passenden Fachkräfte für die Verkehrsunternehmen zu finden und zu binden.”

Schon heute würden 51 Prozent der Betriebe in Deutschland an Fachkräftemangel leiden. Jedes zweite Verkehrsunternehmen müsse aufgrund des Personalmangels bereits Linien streichen und Fahrpläne ausdünnen. 10 Prozent der aktuell Beschäftigten würden in den kommenden fünf Jahren 65 oder älter sein, insgesamt 80.000 Babyboomer in den Ruhestand gehen, so Kraus weiter.

Um all dies aufzufangen, würde es unter dem Strich jedes Jahr 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigen, so die Essenz. Doch nicht nur diese Erkenntnis schien klar, es müsse zudem “mehr auf die aktuell Beschäftigten gehört, ihre individuellen Wünsche ernst genommen und der Mensch als solcher wahrgenommen werden”, schloss Kraus.

Denn neben der Frage, wie es der “Standort Deutschland als nicht klassisches Einwanderungsland” schaffe, eine attraktivere Grundlage zur Rekrutierung und Integration neuer Auslands-Arbeitskräfte zu schaffen, auch aus dem nicht europäischen Ausland, gehe es vor allem auch darum, die aktuell Beschäftigten “besser ins Boot zu holen”.

Neben Harald Kraus und Thomas Besse setzte sich eine Vielzahl weiterer Expert*innen aus den Bereichen Eisenbahn, Personalgewinnung und Interkultureller Förderung mit den die Branche betreffenden, möglichen Zukunftsszenarien auseinander. Dabei wurden auf den zwei Konferenztagen nicht nur Risiken und Herausforderungen, sondern auch Chancen und effektive Hebel zur Bewältigung aufgezeigt.

Erkenntnisse werden zu Handlungsansätzen

Wurden auf der Premierenveranstaltung im vergangenen Jahr noch etwas breitgefächerter die Thematiken Personalgewinnung und -bindung behandelt, so fokussierte sich die diesjährige Folgeveranstaltung eher auf zwei zentrale Aspekte der Fachkräfteproblematik: Wie kann die Rekrutierung und Integration ausländischer Mitarbeitender leichter gestaltet und Mitarbeitende in Deutschland nachhaltiger an Unternehmen und Branche gebunden werden?

Die zu diesen Fragen gewonnenen Erkenntnisse schienen in diesem Jahr alternativloser und weitgehend einhellig beantwortet zu werden: Zum einen werde ohne Fachkräfte aus dem Ausland der enorme und stetig steigende Bedarf an Personal in den Verkehrsunternehmen nicht mehr abzudecken sein. Zum anderen gehe es darum, das vorhandene Potential an Arbeitskraft in Deutschland besser auszuschöpfen, weiterzubilden und zu binden, darin waren sich die anwesenden Expert*innen und Recruiter*innen einig.

Wie es beispielsweise möglich sein kann, eine vollumfängliche Integration ausländischer Arbeitskräfte zu gestalten, dazu sprachen Xaver Zeller von der Organisation Social Bees, Vira Bushanska vom Bundesinstitut für Berufsbildung und Rafael Schmauch von der DIHK Service GmbH in einer Podiumsdiskussion.

Integration in den Betrieb, die Überwindung bürokratischer Hürden wie der Anerkennung von Führerscheinen sowie sprachlicher und interkultureller Barrieren; dass alles seien reale Probleme, an denen die nachhaltig erfolgreiche Fachkräftegewinnung scheitern könne, ordnete Zeller ein.

“Wir brauchen Mentorinnen und Mentoren mit der passenden Muttersprache, die Fachkräfte schon am Flughafen abholen, bei der Wohnungssuche helfen und nicht nur auf die Talente aus dem Ausland achten, sondern gleichzeitig auch auf die Mitarbeitenden, die sie in das Unternehmen integrieren sollen”, so sein eindringlicher, erfahrungsbasierter Appell an die Führungskräfte vor Ort.

Der Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen in den Personalabteilungen der Verkehrsunternehmen werde eine immer wichtigere Aufgabe darstellen, ergänzte dazu Vira Bushanska.

Zusammen berichteten die drei im Gespräch mit der Moderatorin der Konferenz, Leonie Müller, von ganz praktischen Tipps und Erfahrungen, wie eine gelungene Integration der neuen Arbeitskräfte wirksam erleichtert werden könne: So sei es manchmal entscheidend, vor der Einreise der neuen Auslandsfachkraft das eigene Unternehmen und die Mitarbeitenden per Video-Chat vorzustellen, darin aktiv zu unterstützen, Partner*in und Kinder der/des Angeworbenen nachzuholen sowie früh den Kontakt und das Vertrauen aufzubauen. Die aus der vielseitigen Unterstützung des potenziellen Arbeitgebers resultierende Dankbarkeit der neuen Mitarbeitenden sei ein Parameter, welches leicht unterschätzt werde, unterstrich auch Bushanska die Aussagen ihrer fachlich verwandten Kollegen.

Mehr als 100 Fachleute aus Bahn- und Personalbranche berieten über aktuelle Fragen der Personalgewinnung und Mitarbeiterbindung
Mehr als 100 Fachleute aus Bahn- und Personalbranche berieten über aktuelle Fragen der Personalgewinnung und Mitarbeiterbindung (Foto: Bahn Fachverlag GmbH)

Mit Wertschätzung den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Bei allen wichtigen und hochaktuellen technischen Themen wie Digitalisierung, Automatisierung und Implementierung von KI sei die Menschlichkeit die allumfassende Essenz, auch in der modernen Arbeitswelt 4.0, stellte Matthias Rohrmann, Geschäftsführer AGV MOVE und Präsident EU SSD Eisenbahn, am zweiten Tag der VDV-Fachkräftekonferenz fest. “Den Menschen wieder mehr in den Mittelpunkt stellen” lautete sein Appell an die Führungskräfte vor Ort.

Doch auch weitere Dimensionen von Wertschätzung müssten mitgedacht werden: Unternehmen, welche nicht ausreichend in gute Führungskräfte investieren, nicht Kommunikation, respektvollen Dialog und Einbindung als glaubhaftes Anliegen vertreten, werden es schwer haben. Dafür ist die Nachfrage an qualifizierten Fachkräften im In- und Ausland zu groß.

Im Podiumsgespräch zum Thema ‘New Work – Neue Wege gehen’, blickte Rohrmann in diesem Kontext gemeinsam mit Stefanie Menke, VDV und Paul Hemkentokrax, Aktiv Bus Flensburg GmbH auch auf die Unterschiede im White Collar und Blue Collar-Bereich.

Neben den notwendigen Tools, um Arbeitsprozesse mittels Digitalisierung anzupassen, sei die flexible Arbeitszeit für alle – auch im Fahrbetrieb – ein emotionales und für die Mitarbeitenden wichtiges Thema, dem man sich stellen müsse, fasste Hemkentokrax seine Erkenntnisse aus der täglichen Praxis zusammen. Mitarbeitende sollten in die Gestaltung der Arbeitsorganisation eingebunden werden, da dies das Gefühl von aktivem Mitspracherecht und Wichtigkeit für das Unternehmen verstärke, so sein Rat an andere Führungskräfte.

“Mutig sein, Sachen versuchen, Fehler zulassen und den Versuch als Erfahrung mitnehmen“, illustrierte er seine Ansätze zur Mitarbeitenden-Bindung. Work-Life-Balance sei heutzutage eben ein Faktor, der für viele mindestens genauso wichtig sei wie ein fairer Lohn.

Die Verkehrsunternehmen sind bereits dabei, ihre Personal- und Employer-Branding-Strategien zu überarbeiten und zu stärken. Maßnahmen, die in großen Unternehmen funktionieren, wirkten jedoch nicht zwangsläufig auch in kleinen Unternehmen. Deshalb bedürfe es einem “Werkzeugkasten an Maßnahmen, aus denen sich jedes Unternehmen das raussuche, was für es am besten passt“, schlossen die drei ein Fazit unter die letzte Podiumsdiskussion der Konferenz.

Diesen Werkzeugkasten an Maßnahmen rundeten an beiden Tagen Veranstaltungstagen die Inhalte der Workshops ab: Ob “Multi Channel-Strategie zur Fachkräftegewinnung”, “Das Potenzial von Diversity”, “Wertschätzend führen mit klarer Sprache”, oder “Gesund führen”: In einer Mischung aus Podiumsgesprächen, Keynotes, Networking und erwähnten Workshops gingen zwei durchgetaktete Konferenztage am Berliner Alexanderplatz vorbei.

Fazit

In einer umfangreichen, vielschichtigen und mit viel Gespür für den aktuellen Zeitgeist organisierten Konferenz brachte der VDV-Akademie-Vorsitzende Kraus bereits in seiner Eröffnungsrede die Gegenwart und Zukunft der Branche zusammenfassend auf den Punkt: „Es ist eine komplexe und schwierige Zeit, und wir sind erst am Anfang. Wir müssen unsere Vorhaben sozialverträglich gestalten, wie es unsere Branche auszeichnet – den Menschen in den Mittelpunkt stellen, nicht die Aufgabe.“


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