
Schienenverkehr verbindet Menschen und Wirtschaftsregionen in ganz Europa klimaschonend und meistens schnell. Doch in der komplexen Zusammenarbeit von Politik, Administration und Sektor bremsen eine ausbleibende Investitionssicherheit, zunehmende Bürokratisierung und politische Kurswechsel die Transformation des Bahnsystems. Die neue Bundesregierung muss jetzt eine ambitionierte Strategie für die Schiene konsequent umsetzen.
Vorweg ist anerkennend ist zu sagen, dass derzeit so viel Geld wie noch nie in das Schienensystem investiert wird. Die neue Bundesregierung muss nun die Zügel für eine ambitionierte Strategie des Ausbaus, der Sanierung, Modernisierung und Digitalisierung der Schiene fest in die Hand nehmen.
Der Koalitionsvertrag, der am 9. April von Union und SPD vorgestellt wurde, vermittelt echte Zuversicht und geht für den Bahnsektor in eine gute Richtung. Jetzt wird es darauf ankommen, ob den Ankündigungen auch eine Umsetzung, die dafür notwendigen finanziellen Mittel und klare Zuweisung von Verantwortung folgen.
Mehr Schienenverkehr in Deutschland ermöglichen
Investitionen in das Schienennetz sollen laut Koalition steigen, wobei der sogenannte Infraplan als gesetzliches Steuerungsinstrument entwickelt und mit einer entsprechenden, verbindlichen Finanzierungszusage versehen werden soll.

Das würde einen verlässlichen Planungshorizont für die Industrie schaffen: Vorlaufend Bau und Ausrüstung technisch planen, Ressourcen entsprechend hochfahren, Personal einstellen und Kapazitäten effizient planen.
Doch der politische Wettbewerb um die dafür notwendigen Mittel beginnt gerade erst. Die Digitalisierung der Schieneninfrastruktur soll laut Koalition priorisiert und wie die Elektrifizierung aus dem Klima- und Transformationsfond (KTF) finanziert werden. Viele Branchen und auch einzelne Gewerke innerhalb der Sektoren konkurrieren beim Sondervermögen und KTF nun um diese Mittel.
Allein für die Digitalisierung der Schiene schätzt die Beratung McKinsey den Bedarf auf mindestens 52 Milliarden Euro. Bei den bevorstehenden Verhandlungen zum Bundeshaushalt muss deshalb ein kritisches Augenmerk auf die Digitalisierung und Elektrifizierung gelegt werden, die in der Vergangenheit im Gesamtkontext der Schieneninfrastruktur oft zu wenig politische Aufmerksamkeit genossen.
„Der Koalitionsvertrag stimmt zuversichtlich – doch der politische Wettbewerb um die notwendigen Mittel hat gerade erst begonnen
Auch eine eingegrenzte Fokussierung auf die Infrastrukturdigitalisierung, wie sie aktuell im Koalitionsvertrag vorgesehen ist – ohne Investitionen in die Fahrzeugumrüstung – hilft nur begrenzt. Ein intelligentes Schienennetz nützt erst dann etwas, wenn auch digital ertüchtigte Fahrzeuge darauf fahren können.
Und vor dem Hintergrund eines wachsenden Mobilitätsbedarfes und gleichzeitig demografisch bedingter Herausforderungen im Betrieb, sind die Automatisierung und Digitalisierung des Eisenbahnverkehrs unverzichtbar.
Langfristige und verlässliche Investitionen über Haushaltsjahre hinaus sind essenziell, um eine stabile Grundlage für die Umsetzung mehrjähriger Schienenprojekte zu schaffen. Die Digitalisierung, Elektrifizierung und der Ausbau des Netzes müssen planbar sein.
Wirtschaftsstandort Deutschland stärken
Dabei muss die kommende Regierung nicht nur mehr, sondern auch klug investieren. Trotz gesetzlicher Grundlagen, die Nachhaltigkeit und Lebenszykluskosten stärker gewichten, entscheidet meistens der niedrigste Anschaffungspreis über öffentliche Vergaben.
Das bremst Innovationen aus und treibt einen Wettbewerb um billigste statt beste Angebote – ein Wettbewerb, der europäische Unternehmen gegenüber staatlich subventionierten Marktteilnehmern aus Drittländern schwächt.
Europäische Produktion muss in Vergaben stärker gewichtet werden. Das Vergaberecht ermöglicht es, Angebote abzulehnen, die weniger als 50 Prozent Wertschöpfung in Europa beinhalten. Voraussetzung ist, dass die Bieter aus Drittländern stammen, die nicht teil des internationalen Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) sind, mit denen keine Handelsabkommen bestehen und deren Marktzugang eingeschränkt ist.
Die gesetzlichen Möglichkeiten müssen konsequenter genutzt werden. Die neutrale Schulung ausschreibender Stellen durch den Bund bildet die Grundlagen dafür.
Im Koalitionsvertrag setzt sich die kommende Regierung zum Ziel, Leitmärkte für klimafreundliche und klimaneutrale Produkte zu schaffen, zum Beispiel durch Quoten für die emissionsarme Herstellung oder vergaberechtliche Vorgaben. Es geht voran.

Mehr Tempo für die Schiene
Doch wir müssen noch deutlich schneller werden. Schnellere Zulassungen für neue wie auch umgerüstete Fahrzeuge und Infrastrukturmaschinen würden die Modernisierung des Bahnverkehrs erheblich beschleunigen.
Nach Europäischer Zulassungsverordnung muss nach erfolgter Fahrzeugtypengenehmigung für eine Serie jedes Neubaufahrzeug dieser Serie erneut eine Einzel-Genehmigung mit entsprechendem Verwaltungsdurchlauf erhalten. Mit Blick auf Kosten, Aufwand und Zeit ist das wenig effektiv.
Und – wir waren schon einmal weiter: Das in der deutschen Gesetzgebung ehemals verankerte Prinzip der Serienzulassung sollte im europäischen Recht wieder ermöglicht werden. Grundsätzlich gilt: Weniger Genehmigung ist mehr!
Gleichzeitig sieht sich die Bahnindustrie mit wachsenden bürokratischen Anforderungen konfrontiert. Die Erhebung spezifischer Daten entlang der gesamten internationalen Wertschöpfungskette nach europäischem Standard gestaltet sich in der Praxis oft schwierig, insbesondere für KMU mit begrenzten personellen Ressourcen.
Ein entsprechender Bürokratieabbau sollte darauf abzielen, Verordnungen praktikabel, effizient und rechtssicher zu gestalten. Die Koalition strebt eine Reduktion der Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 Prozent an.
Bereit für große Projekte
Die Bahnindustrie steht für die Modernisierung der Schiene in den Startlöchern. Innerhalb der Branche haben wir uns in den letzten Jahren stark aufeinander zubewegt, Prozesse optimiert und Vertragsmodelle so weiterentwickelt, dass wir für die anstehenden Großprojekte bereit sind. Aber diese Projekte müssen jetzt auch kommen. Der kommenden Bundesregierung stärken wir für das Stellen der richtigen Weichen den Rücken.
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