
Der „schriftliche Befehl“ – ein Stück Papier und ein Begriff, der sich aus der Frühzeit der Eisenbahn erhalten hat – wird im Rahmen einer umfangreichen Betriebserprobung ab Dezember 2025 um den „Digitalen Befehl“ ergänzt.
Dies ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen erhält hier in der direkten Kommunikation zwischen Fahrdienstleiter*in (Fdl) und Triebfahrzeugführer*in (Tf) (endlich) die moderne Kommunikationstechnik Einzug. Zum anderen ist diese Innovation im Bereich Betriebsverfahren der erste große Betriebsversuch seit langem, in dem die DB InfraGO AG als Infrastrukturbetreiber die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) aktiv einbindet und um deren Teilnahme tatkräftig wirbt. So wird im Rahmen eines umfangreichen Informationsangebots unter anderem den EVU auch direkt verwendbares Schulungsmaterial seitens der DB InfraGO AG zur Verfügung gestellt.
Liegt im Bereich der Infrastruktur eine Störung oder eine besondere Betriebssituation vor, können die zur sicheren Betriebsführung erforderlichen Informationen dem Tf in vielen Fällen nicht bzw. nicht vollständig über Signale übermittelt werden. Es wird dann ein „schriftlicher Befehl“ erteilt. Dafür ist mittlerweile seit Jahrzehnten das fernmündliche Diktat des Befehlstextes vom Fdl an den Tf das Standardverfahren. Der Tf trägt die so erhaltenen Informationen handschriftlich in das vorgefertigte Befehlsformular ein. Ein durchaus antiquiertes und zudem sehr zeitraubendes Verfahren.
Hier setzt nun der „Digitale Befehl“ an: Die Informationen sind fallbezogen die gleichen wie beim schriftlichen Befehl. Doch der Erstellungs- und Übermittlungsweg ist zeitgemäß: Der Tablet-PC des Tf dient als Empfangs- und Anzeigegerät für die direkt in Textform übermittelten schriftlichen Befehle. Das zeitraubende Diktieren, Schreiben und Wiederholen entfällt. Die Integritätsprüfung erfolgt technisch. Zur Überprüfung, dass es sich um den korrekten Empfänger handelt, gibt es eine Zwei-Faktor-Authentifizierung.
Potenzieller Beitrag zu Pünktlichkeit und Sicherheit

Pünktlichkeit und Sicherheit des Betriebs sind zwei herausragende Merkmale der Eisenbahn im intermodalen Wettbewerb. Die digitale Befehlsübermittlung, mithin die Beschleunigung bewährter Verfahren, kann und soll zu beidem beitragen. Der VDV hat sich daher seit Beginn dieses Projekts für eine umfangreiche Erprobung ausgesprochen, gerade auch auf Strecken, die ein Störgeschehen mit einer größeren Anzahl von pro Monat erteilten schriftlichen Befehlen aufweisen.
Die nun startende Betriebserprobung, bei der sich die Anzahl der der einbezogenen Strecken stetig erhöhen soll und für die sich die EVU zur Teilnahme freiwillig bewerben können, ist somit ein wichtiger und notwendiger Schritt, damit sich dieses innovative Verfahren im Alltag bewähren kann – hinsichtlich der Sicherheit, der Nutzerfreundlichkeit und der Ausfallsichersicherheit. Als Rückfallebene und für Sonderfälle muss das bisherige Verfahren des Diktats des schriftlichen Befehls auch in Zukunft beibehalten werden.
Im Rahmen der Betriebserprobung und deren Auswertung gilt es, den Blick vor allem auf Folgendes zu richten:
- Funktionieren die entwickelten IT-Lösungen einwandfrei, auch im Zusammenspiel mit unterschiedlicher Hardware?
- Menschlich-organisatorische Faktoren: Werden bei der Befehlserteilung, dem Befehlsempfang und der Ausführung der angeordneten Maßnahmen Beobachtungen zu Handlungen, Handlungsunsicherheiten oder gar Fehlhandlungen gemacht, die im bisherigen Verfahren des Diktats beim schriftlichen Befehl nicht bestanden?

Erwartungen der EVU
Die Erwartung einer reibungslosen Durchführung des Betriebsversuchs ist gepaart mit dem Wunsch einer transparenten Beteiligung der EVU bei der Auswertung. Darüber hinaus bestehen bereits jetzt weitere Wünsche und Erwartungen an die Weiterentwicklung des „Digitalen Befehls“.
Hier sind insbesondere zu nennen:
- Dokumentation der erteilten Befehle: EVU, an deren Züge Befehle digital erteilt wurden, erhalten diese zur Auswertung direkt übermittelt oder können sie in einem Archiv abrufen.
- Option zur Einbindung in die Benutzeroberfläche von Betriebsleitsystemen (RBL).
- Einbeziehung von Schnittstellenbahnhöfen zu anderen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und auch das Angebot an andere Eisenbahninfrastrukturunternehmen, sich an dem Verfahren zu beteiligen.
- Nutzung auch für Grenzbetriebsstrecken. Die Digitalisierung der Befehlsübermittlung ist eine Steilvorlage für bilinguale Lösungen: Nichts ist computerisiert so leicht zu übersetzen, wie Dokumente mit festen Wortlauten: Der Fdl stellt den Befehl für die Grenzbetriebsstrecke in seiner Sprache aus, der Tf bekommt ihn hingegen in seiner Sprache angezeigt.
- Auf Seiten der Infrastruktur: Technische Plausibilitätsprüfung bei der Erteilung eines Befehls. Auch der ortsbezogene Ausschluss bestimmter Befehle, die auf bestimmten Betriebsstellen nicht vorkommen können, ist denkbar.
Fazit
Der Digitale Befehl ist eine interessante Innovation. Der Betriebsversuch wird zeigen, ob diese Innovation für die deutschlandweite Anwendung geeignet ist und die hochgesteckten Erwartungen erfüllen kann.
Im Gesamtblick auf das System Bahn muss allerdings auch die klare Erwartung der Branche zum Ausdruck gebracht werden: Sicherheit, Pünktlichkeit und Qualität können vor allem durch eine stets funktionierende und leistungsfähige Infrastruktur erreicht werden. Die Innovation „Digitaler Befehl“ spielt hier eine wichtige Rolle. Dennoch: Je weniger Störungen und Sondersituationen auftreten, die überhaupt erst die Ausstellung eines Befehls erfordern, umso besser funktioniert das Gesamtsystem.
Artikel als PDF laden








