Merkliste aktualisiert
Home > Themenwelten > Bildung > In komplexen Systemen handlungsfähig bleiben

EBL-Kongress von DB Training

In komplexen Systemen handlungsfähig bleiben

EBL-Kongress in der Idylle: Für das obligatorische Gruppenfoto postierten sich die Teilnehmenden am Ufer des Templiner Sees
EBL-Kongress in der Idylle: Für das obligatorische Gruppenfoto postierten sich die Teilnehmenden am Ufer des Templiner Sees (Foto: Philipp von Recklinghausen)

Über 200 Teilnehmende begrüßte DB Training, Learning & Consulting, der Beratungs- und Qualifizierungsdienstleister der Deutschen Bahn AG, auf seinem diesjährigen EBL-Kongress. Wie selbst Expert*innen im zusehends komplexer werdenden System Bahn den Überblick behalten können und in welchem sicherheitlich-rechtlichen Rahmen sie sich dabei bewegen, war das Leitthema der zweitägigen Veranstaltung.

Rund 180 Teilnehmende vor Ort und etwa 50 weitere online verfolgten den diesjährigen EBL-Kongress von DB Training. Die nunmehr 21. Auflage der Veranstaltung bedeutet gleichzeitig eine Zäsur: Zum letzten Mal eröffnete Sylke Schmidt als Gastgeberin den Kongress, um dann mit Moderator Thomas Hösterey symbolisch die Staffelstäbe an Michaela Quante und Torsten Grabner zu übergeben. Beide tragen – zusammen mit dem Veranstaltungsteam DB Trainings und dem Fachbeirat des EBL-Kongresses – ab sofort dafür Sorge, dass die Veranstaltung auch in Zukunft ein Pflichttermin für Eisenbahnbetriebsleiter*innen (EBL), Safety Manager*innen und Sicherheitsexpert*innen im System Bahn bleiben wird.

Der EBL als letzter Generalist

In seinem Eröffnungsvortrag charakterisierte Dirk Menne (DB InfraGO) den EBL als den „letzten Generalisten“ im System Bahn. Im Gegensatz zu anderen, spezialisierteren Berufsrollen, liege die Stärke des EBL darin, „einfache Lösungen in komplexen Systemen zu ermöglichen und zugleich das Ganze im Blick zu behalten“.

So betonte Menne, dass ein Sicherheitsmanagementsystem (SMS) zwar eine tragende Säule des modernen Eisenbahnbetriebs sei, die Aufgaben eines EBL jedoch weit darüber hinausgingen: Gerade mit Blick auf die unterschiedlichen Aufgaben von Eisenbahninfrastruktur- (EIU) und Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) sei Systemintegration eine Kernaufgabe, die nicht allein in einem SMS aufgehe.

Hintergrund: Das 4. Eisenbahnpaket der EU-Kommission hat sich für die Funktion des EBL als „Gamechanger“ erwiesen: Es stellt die Sicherheitskultur im System Bahn in den Fokus und verfolgt das Ziel, diese europaweit zu standardisieren. EVU benötigen nun eine Sicherheitsbescheinigung, für die sie ein Sicherheitsmanagementsystem (SMS) nachweisen müssen. Für EIU, die ein übergeordnetes Netz betreiben, gilt das Gleiche, hat eine Sicherheitsgenehmigung vorzuliegen. Einen EBL, den es auch historisch ohnehin nur in Österreich und Deutschland gegeben hat und nach wie vor gibt, sieht das 4. Eisenbahnpaket dagegen nicht vor.

Zur Verdeutlichung seines Standpunkts verwies Menne auf die aktuelle Situation: Von den rund 450 öffentlichen EVU in Deutschland, die im Gegensatz zu öffentlichen EIU (aufgrund der Pflicht zum Betrieb von Serviceeinrichtungen) keine gesetzliche Pflicht zur Benennung eines EBL haben, verzichteten derzeit lediglich 50 auf diese berufliche Funktion. Dennoch sieht er in dieser Entwicklung eine Herausforderung: Einerseits drohe der Bedeutungsverlust des EBL, andererseits steige der Bedarf an systemischer Kompetenz. So seien etwa Automatisierung im Personenverkehr oder Infrastruktursanierungsprojekte ohne eine integrative Betrachtung von EIU und EVU nicht umsetzbar. „Die Aufgabe des EBL ist und bleibt systemisch“, sagte Menne.

In der anschließenden Diskussion wurde die Rolle des EBL als Systemintegrator zwar gewürdigt, gleichzeitig aber die Überkomplexität institutioneller Strukturen und Vorschriften als das eigentliche Problem und „Elefant im Raum“ bezeichnet. Auch die Frage, ob das Berufsprofil EBL vom Sicherheits- zum Integrationsmanager weiterentwickelt werden solle, wurde gestellt.

Klare Zuständigkeit bei Notfällen

Im Anschluss stellten Jörg Kiehn (JÖRG KIEHN BAHNCONSULT) und Martin Stams (MaS Bahnconsult) aktuelle Themen des Notfallmanagements von EVU vor und betonten dabei die Bedeutung klar definierter Prozesse und Zuständigkeiten im Notdienst. Während in Baden-Württemberg Fahrten zum Ereignisort mit Blaulicht und Sonderrechten möglich wären, sei dies in Berlin nicht der Fall, brachten Kiehn und Stams ein einleuchtendes Beispiel für eine nicht einleuchtende Praxis: Dies sei eine Uneinheitlichkeit, die auch rechtlich zu Unsicherheiten führe.

Besondere Aufmerksamkeit widmeten Kiehn und Stams dem Thema Hilfeleistungen am Ereignisort: Häufig verbleibe diese Aufgabe bei den Eisenbahnunternehmen, da zum Beispiel bundeseinheitliche Regelungen zur psychologischen Erstbetreuung fehlten und es den Landesrettungskräften an Kenntnissen zum System Bahn mangele.

Die beiden Experten wiesen darauf hin, dass der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) Kooperationen zum Notfallmanagement anbieten. In der anschließenden Diskussion wurde zudem betont, dass es eine originäre Aufgabe der Eisenbahnunternehmen sei, ehrenamtlichen Feuerwehren grundlegendes Eisenbahnwissen zu vermitteln.

Safety-Management im Luftverkehr

Seitdem im 4. EU-Eisenbahnpaket die Empfehlung an die europäischen Bahnen ausgesprochen wurde, sich bei der Weiterentwicklung ihrer Sicherheitskulturen an der Luftfahrt zu orientieren, ist diese ein gern gesehener Gast auf EBL-Kongressen. So auch auf diesem: Dr. Herbert Bernard (Lufthansa) gab Einblicke in das Safety-Management im Luftverkehr und zeigte Parallelen zum Bahnbetrieb auf.

Risiken seien stets als Kombination aus Wahrscheinlichkeit und Auswirkungsschwere in seinen menschlichen, technischen und organisatorischen Dimensionen zu betrachten. Sicherheit sei ein Zustand, der keine unvertretbaren Risiken aufweise, verdeutlichte Bernard die theoretischen Prämissen des Lufthansa-Ansatzes.

Die vier Säulen des Safety-Managements – Sicherheitsziele, Risikomanagement, Sicherheitsgewährleistung, Sicherheitsförderung – seien im Sinne der Erreichnung eines höchstmöglichen Sicherheitsstandards universell anwendbar. Zentral sei dabei eine gelebte Sicherheitskultur, die „von oben gewollt und aktiv gefördert werden muss“, sagte Bernard. Besonderes Gewicht legte er dabei auf ein „Safety Reporting System“: Mitarbeitende müssten sicherheitsrelevante Vorfälle vertraulich und sanktionsfrei melden können. Dieses Prinzip sei die Grundlage einer funktionierenden Sicherheitskultur.

Michaela Quante und Torsten Grabner übernehmen die Staffelstäbe von Sylke Schmidt (rechts) und Thomas Hösterey (links)
Michaela Quante und Torsten Grabner übernehmen die Staffelstäbe von Sylke Schmidt (rechts) und Thomas Hösterey (links) (Foto: Philipp von Recklinghausen)

Zulassung von Nebenfahrzeugen

Tim Bothorn und Matthias Schienstock (beide WINDHOFF Bahn- und Anlagentechnik) berichteten über Möglichkeiten der TSI-konformen Zulassung von Nebenfahrzeugen anhand des Beispiels MPV Ventus – eines für die Deutsche Bahn konstruierten Mehrzweck-Schienenfahrzeuges, das den europäischen anstatt – wie es bei Nebenfahrzeugen auch möglich ist – den nationalen Zulassungsprozess durchlaufen hat.

Bothorn und Schienstock zeigten anhand ihres Beispiels, dass eine TSI-konforme Zulassung von Nebenfahrzeugen durchaus eine Option sein kann, zumal diese eine effizientere Nutzung der Fahrzeuge auf europäischen Gleisen ermögliche.

Exkursion und weitere Vorträge

Am Nachmittag des ersten Kongresstages hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, entweder an einer Fach-Exkursion teilzunehmen oder weitere Vorträge zu hören. Die Exkursion führte eine Gruppe zur S-Bahn-Werkstatt Grünau, wo sie sich per Fachvortrag und zweier Praxisstationen über den Einbau von ETCS-Elementen (Level 1) in historischen und zeitgenössischen Schienenfahrzeugen informierten. Die Rückfahrt von der Werkstatt zum Tagungsort erfolgte stilecht in einem historischen Zug.

Am Tagungsort selbst gaben Sebastian Blech und Olaf Braunert (beide DB Fahrwegdienste) Einblicke in den Einsatz von Drohnen bei der DB: In Kooperation mit Luftfahrtbehörden würden derzeit Anwendungsfelder erprobt – von Vegetationsinspektionen bis zu Sicherheitsüberwachungen in Abstellanlagen. Trotz teils überregulierter Rahmenbedingungen zeige sich, dass Drohnen gleichermaßen zum Schutz wie zum Schaden eingesetzt werden könnten. Deshalb seien klare Zuständigkeiten und Sicherheitskonzepte erforderlich, betonten Blech und Braunert.

Lutz Hofmann (DB InfraGO) berichtete im Anschluss über den Infrastrukturbetrieb an Personenbahnhöfen: InfraGO betreibe bekanntlich 5.400 Bahnhöfe mit rund 1.900 Kilometern Bahnsteiglänge. Dies erfordere umfangreiche Sicherungsmaßnahmen, die teils über gesetzliche Vorgaben hinausgehen, betonte Hofmann.

Das Organisationsteam von DB Training sorgte mit guter Laune für das Wohl der Teilnehmenden
Das Organisationsteam von DB Training sorgte mit guter Laune für das Wohl der Teilnehmenden (Foto: Philipp von Recklinghausen)

Der Digitale Befehl

Am zweiten Kongresstag standen die Rahmenbedingungen im Zentrum der Aufmerksamkeit, denen die EBL und Sicherheitsexperten in den Bahnunternehmen unterworfen sind.

Ulrich Häfner und Julian Huth (beide DB InfraGO) unterrichteten die Teilnehmenden über aktuelle Regelwerksänderungen in der Fahrdienstvorschrift: Neben redaktionellen Anpassungen (etwa der Streichung des Begriffs „Bedarfszug“) gingen Huth und Häfner auf den neuen Digitalen Befehl ein, der auf der Strecke Wendlingen–Ulm pilotiert wurde und der nun, ab Dezember, auf freiwilliger Basis bundesweit eingesetzt werden kann.

Florian Krautbauer und Kevin Sener (beide DB Fernverkehr) präsentierten das Projekt „Regelwerke in Checklisten“, das die zunehmende Dokumentenflut im Alltag eindämmen und die Kommunikation zwischen Fahrdienstleitenden und Triebfahrzeugführenden erleichtern soll.

Florian Ney (NEE) berichtete darüber hinaus aus der Arbeit seines Verbandes, der die Interessen von 118 Mitgliedern und damit 56 Prozent des Güterverkehrsmarktes repräsentiert.

Blickfang auf der Fach-Exkursion: der historische Sonderzug der S-Bahn Berlin
Blickfang auf der Fach-Exkursion: der historische Sonderzug der S-Bahn Berlin (Foto: Philipp von Recklinghausen)

Daueraufgabe OT-Cybersecurity

Professor Dr. Stefan Katzenbeißer (INCYDE) widmete sich in seinem Vortrag den Herausforderungen der so genannten OT-Cybersecurity (OT = Operational Technology), die im Vergleich zur IT-Security nicht allein administrative Systeme als vielmehr den operativen Bahnbetrieb betreffe – insbesondere Stellwerke und Leit- und Sicherungstechnik.

Die Bahnunternehmen seien zur Etablierung von OT-Cybersecurity verpflichtet und müssten geeignete Risikomanagementprozesse etablieren: seien es organisatorische und technische Schutzmaßnahmen, Monitoring oder Mitarbeiterschulungen. Der kommende Cyber Resilience Act (EU-Verordnung zur Etablierung und Standardisierung von Cybersecurity) werde die Herstellerpflichten zwar erweitern, die Verantwortung werde jedoch bei den Unternehmen verbleiben.

Grundsätzlich gehe es darum, Safety und Security zusammenzubringen bzw. zu integrieren. Die Idee dabei sei es, dass die Security sich wie eine Schale um Safety lege, um letztere zu schützen und möglichst unbehelligt zu lassen, sagte Katzenbeißer.

Eisenbahnrecht

Zum Abschluss des zweiten Kongresstages berichtete Markus Ring (VDV) über aktuelle Entwicklungen im Eisenbahnrecht. Neben weiteren Themen kam auch Ring auf den Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS) zu sprechen: Die EU-Richtlinie NIS 2 zur Erhöhung der Cybersicherheit und das geplante KRITIS-Dachgesetz schaffe die EU derzeit europäische Mindeststandards, um die Resilienz ihrer Infrastrukturen zu stärken und vor etwaigen Angriffen zu schützen, berichtete Ring.

Fazit

DB Training bot den Teilnehmenden ein fachlich fundiertes, mit einer begeisternden Fach-Exkursion garniertes Programm. Sylke Schmidt übergab derweil „ihren“ EBL-Kongress in exzellentem Zustand an ihre Nachfolger. Man darf gespannt sein, wie letztere im kommenden Jahr an diese Tradition anknüpfen werden. Termin und Ort stehen schon fest: Der EBL-Kongress 2026 wird am 16. und 17. September in Frankfurt am Main stattfinden.


Artikel als PDF laden