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Stellwerke

Die Zukunft der Bestandstechnik

Signalhebel in einem mechanischen Stellwerk im Rangierbahnhof Kassel
Signalhebel in einem mechanischen Stellwerk im Rangierbahnhof Kassel (Foto: DB Netz AG)

Die Jahre 2025 bis 2050 werden als Zeitspanne für den flächendeckenden Aufbau der Digitalen Stellwerke betrachtet. Bis dieser Prozess abgeschlossen sein wird, müssen bestehende Stellwerke jedoch sicher und zuverlässig weiter betrieben werden können. Herausforderungen bestehen hierbei in der ­Komplexität der Systeme der Leit- und Sicherungstechnik sowie der Über­alterung der Stellwerkstechniken.

Hinzu kommen Themen wie der Umgang mit notwendigen Anpassungen im Bereich herstellerübergreifender Schnittstellen mit proprietären Technologien oder bei abgekündigten, also obsoleten Techniken, die sich unter anderem durch gesetzliche oder andere regulative Forderungen ergeben können. Ein Beispiel ist die Erhöhung der Anzahl anzuschaltender PZB-Magnete in Folge aktualisierter INA-Berechnung.

Sichere und zuverlässige ­Bestandstechnik
bis 2050

Aktuell sind im Verantwortungsbereich der DB Netz AG Anlagen der Leit- und Sicherungstechnik (LST) in Betrieb, die den folgenden vier Bauarten zugeordnet werden können:

  • Mechanische Stellwerke
  • Elektromechanische Stellwerke
  • Relaisstellwerke
  • Elektronische Stellwerke (ESTW)

Der Hochlauf der flächendeckenden Inbetriebnahme Digitaler Stellwerke (DSTW), als Ramp-Up DSTW bezeichnet, wird jedoch frühestens ab 2025 erfolgen, wie eine Machbarkeitsstudie von McKinsey zeigt. Der Abschluss des Ramp-Up wird für 2040 erwartet. Kalkuliert man Verzögerungen mit ein, wie sie bei Vorhaben dieser Größenordnung nicht unwahrscheinlich sind, sollte unsere Bestandstechnik bis mindestens 2050 verfügbar sein, und das bei steigendem Verkehr. Angesichts des durchschnittlichen Anlagenalters von etwa 57 Jahren ist dies eine schwierige Aufgabe (Abbildung 1).

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Abbildung 1: Stand Bestandstechnik (Quelle/Bearbeitung: DB AG/Christin Gerstner)

Technikvielfalt

Ein weiterer Faktor, der in Bezug auf den Weiterbetrieb der Bestandstechnik zum Problem wird, ist die Vielfalt der eingesetzten Techniken gerade im Bereich der mechanischen und elektromechanischen Stellwerkstechniken. Für jede dieser einzelnen Stellwerkstechniken muss:

  • ein Vorrat von Ersatzteilen bereitgestellt werden,
  • ein Management der Obsoleszenzen erfolgen,
  • die spezifische Qualifizierung des Instandhaltungspersonals durchgeführt,
  • das jeweilige Regelwerk gepflegt und
  • die Technik zur Anpassung an den aktuellen Stand der Technik weiterentwickelt werden.

Wir leisten uns aktuell 46 verschiedene Stellwerksbauformen, von denen teilweise nur wenige Einheiten betrieben werden. Dies lässt sich leicht an der unten stehenden Grafik ablesen (Abbildung 2) die den Bestand der Stellwerke nach den Bauformen, ohne ESTW, zeigt.

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Abbildung 2: Verteilung der Stellwerksbauformen (Quelle: DB Netz AG)

Im Bereich A sind Stellwerkstechniken zu finden, bei denen je Technik mehr als 50 Stellwerke im Einsatz sind. Im Bereich B sind nur zwischen 20 und 50 Stellwerke je Technik im Feld. Bereich C zeigt Stellwerkstechniken, bei denen weniger als 20 Stellwerke je Technik im Feld sind. In den Techniken Siemens & Halske, Zimmermann & Buchloh (neue Bauform), AEG, Dr L2, Fahrbare Stellwerke in Dr-(Drucktasten)Technik und Dr I ist sogar nur je ein Stellwerk im Feld.

Durch eine frühzeitige Ablösung dieser „Exotenstellwerke“ im Rahmen des DSTW-Ramp-Up könnten Einsparungen in zentralen Bereichen der Qualifikation, der Fachautoren des zugehörigen Regelwerks, in der Ersatzteilversorgung durch das Signalwerk Wuppertal wie auch im örtlichen Instandhaltungsaufwand erzielt werden, der bei aktuellen DSTW-Techniken wesentlich geringer ausfällt. So würde durch die Ablösung der 6 Stellwerke aus obiger Aufzählung die Technikvielfalt alleine um 13 Prozent reduziert werden. Würde man die Ablösung auf die Stellwerkstechniken ausdehnen, von denen 6 oder weniger Stellwerke im Feld sind, so müsste man insgesamt nur 57 Stellwerke ablösen. Im Gegenzug würde man jedoch schon 35 Prozent der Technikvielfalt reduzieren, mit allen positiven Auswirkungen in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit.

Technikalterung

Die Lebensdauer von technischen Produkten, so auch die der Komponenten der Leit- und Sicherungstechnik wird durch die sogenannte „Badewannenkurve“ repräsentiert. Zu Beginn der Lebensdauer einer Komponente ist die Rate der Ausfälle und Fehler noch relativ hoch, zum Beispiel durch die Analyse und Behebung letzter Entwicklungs- und Produktionsfehler. Nachdem der Serienanlauf stattgefunden hat, hat sich die Qualität der Komponenten stabilisiert und die Rate der Fehler und Ausfälle wird minimal, somit steigt die Verfügbarkeit. Zum Ende der Lebenszeit steigt die Rate der Fehler und Ausfälle wieder an, hier kommen vor allem Materialalterungs- und Verschleißerscheinungen zum Tragen. Aber auch die mit der Zeit maximal ausgeschöpfte Varianz an möglichen unterscheidbaren Anwendungsfällen fördert zuletzt noch versteckte Entwicklungsmängel zutage (Abbildung 3).

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Abbildung 3: „Badewannenkurve“ (Quelle: DB Netz AG)

Situation der Bestandsanlagen der DB Netz AG

Die Frage, in welcher Phase der „Badewannenkurve“ wir unsere Anlagen der Bestandstechnik nun betreiben, lässt sich anhand der Entwicklung des Instandhaltungsaufwands (IH-Aufwand) der DB Netz AG beantworten, die auch die Aufwände zur Instandhaltung der Stellwerke beinhaltet (Abbildung 4).

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Abbildung 4: Entwicklung Instandhaltungsaufwand (Quelle: DB Netz AG unter Verwendung einer Abbildung des Infrastrukturzustands- und Entwicklungsberichtes 2018 der DB AG)

Hier geht trotz fortschreitenden Ersatzes der Stellwerkstechnik durch zuverlässigere, verfügbarere und instandhaltungsaufwandsärmere ESTW-Technik der Trend analog zum rechten, ansteigenden Ast der „Badewannenkurve“ nach oben. Die Anlagen der Bestandstechnik befinden sich somit am Ende ihrer Lebensdauer.

Wie soll es weitergehen? Alttechnik managen!

Dass die Alttechnik nicht zukunftsfähig ist, zeigt sich neben dem bereits thematisierten, steigenden Instandhaltungsaufwand auch an den nicht mehr zeitgemäßen Schnittstellen an die Anlagen der Alttechniken. So werden in heutigen Bauprojekten beim Einsatz neuer Techniken die erforderlichen Anpassungen zumeist auf der Seite der Alttechnik vorgenommen. Des Weiteren bieten Anlagen der Alttechnik mitunter nicht den gleichen Funktionsumfang, den neue Anlagen bieten, beispielsweise die Unterstützung von Schnittstellen an ETCS, Gleisfreimeldeanlagen oder die Einbindung von Zugdeckungssignalen. Die erforderlichen Anpassungsentwicklungen gehen vor allem im Fall abgekündigter Techniken mit teils unlösbaren Herausforderungen im Bereich der Verfügbarkeit von Gutachtern und Abnahmeprüfern einher.

Für die Zukunft ergeben sich somit folgende Ziele, um einen optimalen Ramp-Down der Alttechniken während des Ramp-Up digitaler Stellwerke sicherzustellen: Es müssen:

  • frühzeitig diejenigen Techniken festgelegt werden, die vorrangig durch digitale Stellwerke zu ersetzen sind, da weder Ersatzteile noch die für erforderliche Anpassungsentwicklungen benötigten Fachleute mehr zur Verfügung stehen,
  • die weiterbetreibbaren Techniken identifiziert und in ihrer Betriebsverfügbarkeit systematisch stabilisiert und, so erforderlich, funktional erweitert werden,
    Strategien zwischen Betreiber, Industrie und weiteren externen Beteiligten in Bezug auf die Unterhaltung und den Betrieb der Alttechniken abgestimmt und vereinbart werden,
  • Stabilisierungsmaßnahmen für die Instandhaltung umgesetzt werden,
  • Bauprojekte dahingehend beraten werden, dass Umbauten auf die Verfügbarkeit der dort eingesetzten Bestandstechniken abgestimmt werden.

Wie sehen nun beispielsweise diese Stabilisierungsmaßnahmen für die Instandhaltung aus? Neben bekannten und bestehenden Maßnahmen, wie zum Beispiel dem Einsatz von Apps, welche den Techniker bei der Entstörung von Anlagen unterstützen („Das klappt“-App/D-Main) oder der digitalen Weichendiagnose mit DIANA („Diagnose und Analyse“) wird die digitale Diagnose der Relaistechnik eine Rolle spielen (Abbildung 5).

Abbildung 5: Digitale Diagnose Relaistechnik in der Unterstützung der Instandhaltung (Quelle: DB Netz AG)

Mit der digitalen Diagnose der Relaistechnik wird dabei die Möglichkeit geschaffen, Relaisstellwerke durch den dauerhaften Einbau von Messtechnik kontinuierlich zu überwachen. Das Ziel der Erhöhung der Verfügbarkeit wird so einerseits durch die Beschleunigung der Entstörung und zum anderen durch die Früherkennung von Störungen erreicht. Letzteres wird durch die Erkennung von Unregelmäßigkeiten, beispielsweise durch das kontinuierliche Monitoring von Schaltzeiten von Relais erreicht. Weichen die Schaltzeiten von einem Referenzwert ab (Soll/Ist-Vergleich), so kann hierdurch voraussichtlich eine sich anbahnende Störung erkannt werden (Abbildung 6).

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Abbildung 6: Beispiel Ansteuerung Signalwahl (Quelle: DB Netz AG unter Verwendung von Bildmaterial der RRS GmbH)

Als weiteres Beispiel für stabilisierende Maßnahmen kann das „Überbrückungsprogramm Stellwerke“ (ÜPS) genannt werden, das vor allem darauf abzielt, mit möglichst kleinen und klar abgrenzbaren Komponentenerneuerungen kritische, meist obsolete Bauteile zu ersetzen und damit die Lebenserwartung bestimmter Techniken so zu verlängern, dass eine Überbrückung bis zum vollständigen DSD-Rollout gelingt. Im Fokus stehen hier eine Vielzahl unterschiedlichster Systembestandteile, von Übertragungssystemen, über Fernsteuerungen bis hin zu Stellwerkskernen im Bereich der Relaistechnik.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle Maßnahmen dazu beitragen, die Stellwerkstechnik der DB Netz AG länger zu betreiben, auch wenn der Aufwand hierfür kontinuierlich ansteigt. Das Ende der Bestandstechnik ist allerdings aufgrund von Überalterung und Obsoleszenz eingeleitet und will gestaltet werden.


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