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Projekt Sensors4Rail

Digitale Schiene Deutschland testet erstmals sensorbasierte Wahrnehmungssysteme im Bahnbetrieb

Umgebaute S-Bahn mit Branding der Digitalen Schiene unterwegs
Foto: Layla Algermissen/DB Netz AG

Wahrnehmen, auswerten und reagieren: Die logische Verknüpfung dieser drei fundamentalen Schritte bildet die Grundlage jedes vollautomatischen Systems. Im Systemverbund Bahn besteht bereits beim ersten Schritt – der Wahrnehmung – noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsaufwand, um den notwendigen Reifegrad der entsprechenden Technologien für das vollautomatisierte Fahren zu erreichen. Zusammen mit namhaften Partnern aus der Industrie unternimmt die Deutsche Bahn daher im Rahmen von Sensors4Rail einen ersten Schritt zur Entwicklung und Erprobung eines integrierten Systems aus sensorbasierter Umfeldwahrnehmung, Lokalisierung und einer Digitalen Karte. Auf dem ITS-Weltkongress 2021 in Hamburg wurde ein entsprechend ausgestatteter Triebzug der S-Bahn Hamburg erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Sektorinitiative „Digitale Schiene Deutschland“ nutzt die Chancen der Digitalisierung, um die Leistungsfähigkeit des Bahnsystems zu steigern und eine signifikante Verbesserung von Kapazität, Pünktlichkeit und Effizienz zu erreichen. Das Fundament dafür wird mit der grundlegenden Modernisierung der Infrastruktur durch die konsequente Einführung digitaler Leit- und Sicherungstechnik (ETCS und Digitale Stellwerke) gelegt.

Darüber hinaus arbeitet die Digitale Schiene Deutschland an einer weitreichenderen Digitalisierung des Bahnsystems. Züge werden zukünftig vollautomatisiert und im optimalen Abstand zueinander fahren. Ein auf künstlicher Intelligenz (KI) basiertes Verkehrs- und Störfallmanagementsystem wird für eine intelligente und automatisierte Steuerung der Züge sorgen. Neueste wahrnehmungsbasierte Sensorik versetzt die Triebfahrzeuge in die Lage, ihre Umwelt zu erkennen (zum Beispiel Hindernisse, Objekte) und sich kontinuierlich zu orten. Insgesamt soll durch die Implementierung dieses Zielbilds die Kapazität der Schiene deutlich gesteigert werden – ohne den Neubau von Gleisen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Bahn und Industrie gemeinsam an einem Strang ziehen. Neben technologischer Kompetenz sind hier auch neuartige Kooperationsmodelle und branchenübergreifende Zusammenarbeit eine wichtige Grundlage.

Ein erstes zentrales Kooperationsprojekt der Digitalen Schiene Deutschland ist Sensors4Rail. Das Projekt hat zum Ziel, das Zusammenspiel aus der o. g. sensorbasierten Umfeldwahrnehmung und Zugortung mit einer digitalen Karte zu verproben. Die Ergebnisse der ersten Projektphase wurden im Oktober 2021 auf dem ITS-Weltkongress in Hamburg gemeinsam mit den Kooperationspartnern Siemens Mobility, HERE Technologies, Ibeo Automotive Systems GmbH und Bosch Engineering präsentiert. Im Rahmen von Sonderfahrten wurde den Messebesuchenden die Leistungsfähigkeit sensorbasierter Wahrnehmungssysteme mit einer eindrucksvollen Live-Animation anschaulich präsentiert.

Von dem offiziellen Start des Projektes „Sensors4Rail“ im Sommer 2019 bis zur Präsentation für eine weltweite Öffentlichkeit lagen nur knapp zwei Jahre. Dieser Artikel soll einen Überblick über die Motivation, das Systemdesign und die Ergebnisse der ersten Projektphase von Sensors4Rail geben.

Motivation

Neben den Effekten durch den netzweiten Rollout von digitaler Leit- und Sicherungstechnik (ETCS und Digitale Stellwerke) ist insbesondere das hoch- und vollautomatisierte Fahren ein wichtiger Hebel zur Kapazitäts- und Zuverlässigkeitssteigerung. Die Digitale Schiene Deutschland setzt dort mit zwei Projekten an: Der Digitalen S-Bahn Hamburg (DSH), ein Kooperationsprojekt der Hansestadt Hamburg, Siemens Mobility und der Deutschen Bahn sowie dem Schwesterprojekt Sensors4Rail. Auf einer 23 Kilometer langen, mit ETCS ausgerüsteten Strecke fuhren vier umgebaute Züge des Projektes DSH auf der Linie S21 mehrmals täglich hochautomatisiert im Fahrgastbetrieb im Automatisierungsgrad GoA2 (Grade of Automation): Anfahren, Beschleunigen, Bremsen, Halten. All das erledigten die hochautomatisierten Züge von selbst. Auf dem entsprechend ausgebauten Abschnitt übernahm der Triebfahrzeugführer (Tf) die Streckenbeobachtung und griff lediglich bei Störungen ein.

Der hochautomatisierte Bahnbetrieb bringt zahlreiche Vorteile: Die Taktung auf derselben Strecke kann bei flächendeckender Ausrüstung deutlich verkürzt werden. Die Energieeffizienz steigt, da automatisiertes Beschleunigen und Bremsen den Energieverbrauch senkt. Insgesamt wird der Betrieb zuverlässiger und stabiler. Nach der Demonstration der Ergebnisse des Projektes wird diese Technologie nun im Regelbetrieb genutzt. Dadurch wurde ein wichtiger Meilenstein für die Einführung von „ATO over ETCS“ im deutschen Schienennetz erreicht (vgl. Deine Bahn 03/2022).

Die Bereitstellung der Züge im Projekt DSH erfolgte während des Kongresses sogar vollautomatisch: Die S-Bahnen fuhren ohne Triebfahrzeugführer in die Abstellgleise oder zum Bahnsteig in der Station Bergedorf. Dabei musste die Fahrt jedoch durch einen sogenannten Ferntriebfahrzeugführer vom Stellwerk aus überwacht werden, da die Züge noch nicht über sensorbasierte Hinderniserkennung verfügten.

Genau an diesem Punkt setzte dann Sensors4Rail an. Denn der vollautomatisierte Bahnbetrieb der Zukunft im Automatisierungsgrad GoA4 benötigt weitere Systeme. Dazu gehören unter anderem eine sensorbasierte Umfeldwahrnehmung, eine präzise Echtzeit­lokalisierung sowie eine hochgenaue, digitale Karte des Gleisumfeldes. Dafür wurden hochmoderne Sensoren und eine leistungsfähige Rechnerumgebung in ein Erprobungsfahrzeug der S-Bahn Hamburg integriert und entsprechende Softwarekomponenten entwickelt. Das System stellt genaueste Informationen über das Umfeld des Zuges und eine präzise Zug­position in Echtzeit zur Verfügung.

Durch eine intelligente Kombination dieser Technologien ist die Erkennung von statischen und dynamischen Hindernissen auf und neben dem Gleis sowie deren Gefahreneinschätzung möglich. Dies spielt sowohl für die Entwicklung möglicher Assistenzsysteme als auch für die Vorbereitung eines vollautomatischen Betriebs eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus werden wichtige betriebliche Daten in hoher Frequenz (zum Beispiel Positionsdaten oder Hindernisse im Gleis) gesammelt und über eine Cloudschnittstelle bereit­gestellt. Diese Daten können dazu benutzt werden zum Beispiel Störungen schneller zu bearbeiten und die Zugdisposition zu optimieren. Das kann den Bahnverkehr dann flüssiger und zuverlässiger machen.

Diese Technologien stehen im Bahnsektor aufgrund seiner zahlreichen Besonderheiten im Vergleich zum Reifegrad im Automobilsektor noch am Anfang der Entwicklung und müssen technisch und betrieblich von Grund auf neu eingeführt werden. Sensors4Rail startete als gemeinschaftliche Forschungs- und Innovationskooperation zwischen der Sektorinitia­tive Digitale Schiene Deutschland und Industriepartner verschiedener Branchen, welche im Rahmen einer Ausschreibung im Jahre 2019 für das Projekt gewonnen werden konnten. Im Projektkonsortium verantwortete die Deutsche Bahn das Projekt­management, stellte Fahrzeug und Strecke bereit sowie die Arbeitspakete IT-Security, Fahrzeugengineering und Fahrzeugumbau. Siemens Mobility verantwortete die Arbeitspakete Lokalisierung sowie Test und Integration. Bosch Engineering und Ibeo Automotive Systems GmbH verantworteten in Kollaboration das Arbeitspaket Umfeldwahrnehmung und HERE Technologies das Arbeitspaket Digitale Karte.

Systemübersicht

Als Grundlage des Systems dient ein Fahrzeug aus der zweiten Bauserie der Baureihe 472 (472 061), welches mit zahlreichen Änderungen versehen, von der DB Systemtechnik als EVU für die Test- und Demonstrationsfahrten betrieben wird. Die Baureihe 472 wird aktuell ausgemustert und dient bei der Hamburger S-Bahn vor allem als Ersatzfahrzeug. Somit konnte ein Fahrzeug dem Projekt bereitgestellt werden, ohne den Fahrgastbetrieb zu beeinträchtigen.

Abbildung 1 zeigt schematisch die Systemumgebung mit Testfahrzeug samt Hard- und Software. Neben dem Fahrzeug und der darauf installierten Hardware ist eine DB-interne Cloudumgebung (DB modular Cloud) Teil des Sensors4Rail-Systems. Zusätzlich werden GNSS-Signale verarbeitet und für die Kommunikation zwischen Cloud und Zug sorgt in diesem Projekt eine priorisierte LTE/4G Verbindung des Partners Vodafone. Die Testumgebung für Sensors4Rail umfasst aktuell 23 Kilometer der Linie S2/S21 der Hamburger S-Bahn zwischen Berliner Tor und Aumühle. Das Kernstück der Strecke zwischen Bergedorf und Berliner Tor diente zugleich als Demonstrationsstrecke beim ITS Weltkongress 2021. Messebesucher und Besucherinnen konnten auf diesem Abschnitt auf Sonderfahrten die Projektergebnisse live erleben.

Schematische Darstellung Umfelderkennung
Abbildung 1: Systemübersicht des Projektes Sensors4Rail: Umgebautes Fahrzeug und Cloud-Umgebung samt digitaler Karte. Der Zug empfängt zusätzlich GNSS-Signale und nutzt die verbaute Sensorik zur Erfassung des Umfeldes. Die Kommunikation zur Cloud erfolgt mittels priorisiertem 4G/LTE (Quelle: Autoren/DB Netz AG)

Projektumsetzung und Fahrzeugintegration

Als Kooperationsprojekt ins Leben gerufen, galt bei Sensors4Rail von Beginn an der gemeinschaftliche Projektaufsatz. In Kollaboration mit den Industriepartnern wurde dieser Ansatz konsequent in die Praxis umgesetzt. In regelmäßigen Meetings mit allen Projektpartnern wurden Fortschritt, Herausforderungen und Risiken des Projekts gemeinsam diskutiert und zusammen mit den Expert*innen der beteiligten Firmen Lösungen erarbeitet und umgesetzt. Das Projekt wurde von den Partnern gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert und interessierten Stakeholdern vorgestellt.

Eine wichtige Voraussetzung für den Probebetrieb des Sensor4Rail-Systems ist die Rückwirkungsfreiheit zu bestehenden Systemen, wie etwa der Fahrzeugsteuerung oder Leit- und Sicherungstechnik. Neben dem Nachweis dieser Rückwirkungsfreiheit lag eine besondere Herausforderung im Projekt Sensors4Rail in der Fahrzeugintegration der neuen Hardware-Komponenten. Zu diesen gehören neben Sensoren wie Kameras, Radar (radio detection and ranging – frei übersetzt „funkgestützte Ortung und Abstandsmessung“) und Lidar (light detection and ranging – frei übersetzt „lasergestützte Ortung und Abstandsmessung“) auch hoch performante Serversysteme mit mehreren GPUs (graphics processing unit – Grafikprozessoren), ein Datenspeicher und die Verwendung eines 10Gbit-Netzwerks zur Datenübertragung zwischen den Komponenten – vieles davon erstmalig im Einsatz im Bahnbetrieb. Insgesamt wurden für den Sensors4Rail-Prototypen auf einer Zuglänge von 60 Metern etwa 4,3 Kilometer Kabel verlegt sowie 45 spezielle Hardwarekomponenten und 3.500 Kleinteile verbaut. Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll, was notwendig war, um erstmals ein integriertes System aus Umfeldwahrnehmung, Lokalisierung und Digitale Karte auf einer S-Bahn in Echtzeit zu demonstrieren.

Bei der verbauten Hardware handelt es sich überwiegend um Komponenten, welche zuvor noch nicht im Bahnumfeld genutzt wurden und somit nicht ohne weiteres über die notwendigen Zulassungen und Zertifikate verfügen. Insbesondere die Sensorik für die Umfeldwahrnehmung wurde ursprünglich für den Bereich Industrie beziehungsweise Automotive ent­wickelt und musste in speziellen Laboren für den Einsatz im Bahnumfeld befähigt werden. Dadurch lässt sich ein weiteres Projektziel von Sensors4Rail ableiten: die Erprobung dieser Hardware-Komponenten unter den bahntypischen Umgebungsbedingungen wie großen Temperaturbereichen, starken Vibrationen und Verschmutzungen. Die Industriepartner profitieren ebenso durch die gewonnenen Erkenntnisse über die besonderen Anforderungen im Bahnsektor und können diese in ihre Produktentwicklung einfließen lassen. Als konkretes Beispiel kann hier eine integrierte Brandschutzlösung für ein Multi-GPU-Serversystem genannt werden, welches gleichzeitig wassergekühlt wird, um die bei den aufwendigen Berechnungen anfallende Wärme aus dem System zu leiten.

Frontansicht des umgebauten Testfahrzeugs mit Beschriftung
Abbildung 2: Frontansicht des umgebauten Testfahrzeugs. Deutlich sichtbar die Sensoren für die Umfeldwahrnehmung: vier Radare, vier Kameras sowie sechs Lidar-Sensoren. Nicht sichtbar ist die innenliegend verbaute Inertiale Messeinheit zur Bestimmung der Eigenbewegung des Fahrzeugs (Foto: DB Netz AG/Jasmin Priesnitz)

Abbildung 2 zeigt die Fahrzeugfront der BR 472 nach dem Umbau mit den dort verbauten Sensoren für die Wahrnehmung des Zugumfeldes. Die sechs Lidar-Sensoren über der Frontscheibe vermessen in Kombination das erforderliche horizontale und vertikale Sichtfeld mittels jeweils bis zu 30.720 einzelnen Abstandsmessungen mit 15 Hertz und erzeugen somit eine 3D-Punktwolke der Umgebung in Echtzeit. Seitlich des Frontlichts ist im oberen Bereich der Front eine Infrarotkamera verbaut, welche Objekte mittels der Detektion von langwelligem Infrarot im Bereich von 8 bis 14 Mikrometer erfasst. Dieser Sensor ist ebenso wie die Lidar-Sensoren – welche im Nahinfrarot Bereich arbeiten – unabhängig von der Umgebungsbeleuchtung und ermöglicht so die Wahrnehmung von statischen und dynamischen Objekten auch bei absoluter Dunkelheit, zum Beispiel in Tunneln oder bei Nacht.

Unterhalb der Frontscheibe sind drei weitere Kameras für den sichtbaren Wellenlängenbereich installiert. Eine Stereokamera, welche neben Bilddaten auch Tiefenwerte der Umgebung im Nahbereich ermitteln kann, sowie je eine Kamera für mittlere und große Sichtweiten ausgelegt 300 beziehungsweise 550 Meter. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Detektion von Objekten von vielen Faktoren, wie zum Beispiel Größe, Kontrast und Reflektivität des Objektes sowie zusätzlich von den Umgebungsbedingungen abhängt. Komplettiert wird das Sensorset für die Umfeldwahrnehmung an der Fahrzeugfront durch vier Radar-Sensoren, welche bei einer Frequenz von 76 bis 77 Gigahertz arbeiten. Alle Sensorrohdaten werden in einem hochperformanten Serversystem gesammelt, in Echtzeit weiterverarbeitet und zusätzlich für eine spätere Analyse aufgezeichnet.

Das auf der BR 472 verbaute Lokalisierungssystem besteht aus einem Wegimpulsgeber, einem optischen Schienenkopfsensor, einer inertialen Messeinheit sowie einem Rechnersystem. Auf diesem werden die Signalquellen mit den aus der Umfeldwahrnehmung ermittelten Positionen aus Radar-SLAM (Simultaneous Localization and Mapping) und landmarkenbasierter Lokalisierung zu einer konsolidierten Zugfrontposition zusammengeführt. Die so ermittelte Position wird mit einem hochgenauen Referenzlokalisierungssystem verglichen und die Abweichungen analysiert. Eine hochpräzise Echtzeitlokalisierung ohne den Bau neuer Infrastrukturelemente wird so denkbar.

Der Fokus der auch als HD Map bezeichneten hochgenauen digitalen Karte, ursprünglich aus dem Automotive-Bereich stammend, liegt auf dem automatisierten Fahren, der Unterstützung von Fahrassistenzsystemen und der Lokalisierung von Fahrzeugen. Für diese Zwecke bildet die HD Map im Gegensatz zu herkömmlichen Navigationskarten die Realität in einem deutlich höheren Detailgrad ab. Sie enthält Objekte im Streckenverlauf, wie Gebäude, Brücken oder Bahnsteigkanten, die als Referenz dienen, um den IST- mit dem SOLL-Zustand kontinuierlich abzugleichen. Damit wird die Karte zum digitalen Zwilling der Schiene und seiner unmittelbaren Umgebung. Für die Erstellung der Digitalen Karte wurde das Leica Pegasus 2-Messsystem verwendet. Zusätzliches wurden 4 GNSS-Masterstationen sowie diverse Passpunkte bestimmt. Die dadurch erreichte Genauigkeit in absoluten Koordinaten liegt bei etwa 3 bis 5 Zentimetern. Die HD Map dient damit als Grundlage der landmarkenbasierten Ortung der Zugfrontposition.

Durch die Integration dieser drei Subsysteme Umfeldwahrnehmung, Lokalisierung und Digitale Karte wurden im Projekt Sensors4Rail die folgenden sechs Funktionalitäten prototypisch implementiert und erprobt (Abbildung 3):

  • Detektion von Landmarken und Abgleich mit der digitalen Karte für eine genaue Positionsbestimmung der Zugfront.
  • Detektion und Klassifizierung von Zügen auf den Nachbargleisen, damit diese nicht als Gefahr oder Hindernis identifiziert werden
  • Detektion, Klassifizierung und Positionierung von Personen auf dem Bahnsteig, um im Notfall reagieren zu können
  • Detektion des eigenen Gleisverlaufs und der Nachbargleise sowie ein Abgleich mit der digitalen Karte, um Objekte relativ zum Gleisverlauf positionieren zu können
  • Fusion aller Lokalisierungs- und Weginformationen zu einer konsolidierten Position auf dem Gleis, mit dem Ziel einer hochpräzisen Echtzeitlokalisierung ohne zusätzliche Infrastrukturelemente
  • Gleisfreiraumerkennung mittels einer Überwachung des Volumens innerhalb und außerhalb des Lichtraumprofils des eigenen und dem der Nachbargleise, um auf unbekannte Hindernisse reagieren zu können

Hervorzuheben ist des Weiteren die vollständig modellbasierte Dokumentation für Systemdesign und Architektur, welche im Projekt Sensors4Rail verwendet wurde. Durch ein zentrales, versionsgesteuertes Modell und daraus automatisch abgeleitete Artefakte (zum Beispiel Dokumente zu einzelnen Subsystemen oder Baselines), konnte über den Projektverlauf eine konsistente single source of truth geschaffen werden.

Schematische Visualisierung
Abbildung 3: Übersicht der im Projekt Sensors4Rail erprobten Funktionalitäten (Quelle: DB Netz AG)

Präsentation der Ergebnisse

Neben den bereits erläuterten Projektzielen stand ebenso die Live-Demonstration der Projektergebnisse in Hamburg im Fokus. Dabei war die besondere Herausforderung, die sehr technischen Inhalte in einer solchen Art zu visualisieren, dass die Funktionsweise sensorbasierter Wahrnehmungssysteme verstanden und gleichzeitig für die Messebesuchenden erlebbar wird.

Basierend auf einer modernen Grafikumgebung wurde ein virtuelles Abbild der Realität geschaffen und mit den Live-Daten des Sensors4Rail-Systems gespeist. Als Grundlage der Visualisierung dienten hierbei Daten des Gleisverlaufs und der Stationen aus der initialen, hochgenauen Vermessung der Strecke. Konkret wurden hierzu zum Beispiel die Daten von Positionen erkannter Landmarken oder Züge über eine Schnittstelle an einen weiteren Computer geleitet. Dort wurden die Daten in Echtzeit visualisiert und in den auf dem Zug installierten Showcase-Monitoren ausgegeben. Somit konnten die Messebesuchenden auf dem Zug während Sonderfahrten sowie am Messestand die vom Sensors4Rail-System ermittelten Daten live „erleben“.

Zusätzlich wurden die Daten über die 4G-Schnittstelle an die Cloud gesendet und dort einer weiteren Instanz zur Verfügung gestellt, welche während den Testfahrten auf dem ITS eine identische Visualisierung als Live-Stream in sozialen Netzwerken wie LinkedIn und YouTube erzeugt hat. Dies hat es ermöglicht, die Projektergebnisse zusätzlich einem wesentlich größeren, internationalen Publikum zugänglich zu machen. Eine Aufzeichnung des Live-Streams vom ITS samt Moderation ist in den Referenzen zu finden. Die Projektergebnisse live „erfahrbar“ zu machen sorgte für Begeisterung unter den Besuchenden und in den sozialen Medien.

Ein anschauliches Beispiel für die Visualisierung von Funktionen ist in Abbildung 4 dargestellt und stammt direkt aus dem beschriebenen Live-Stream. Neben dem visualisierten Zugumfeld in Echtzeit – hier am Beispiel der Detektion von Landmarken – dient ein Interface der übersichtlichen Darstellungen der zahlreichen vom System erfassten Informationen. Dazu gehören, neben dem Hervorheben der jeweils aktiven Funktion am linken Bildschirmrand, Statistiken wie die Gesamtzahl der detektierten Landmarken oder die aktuelle Geschwindigkeit des Zuges. Desweiteren konnte auch eindrucksvoll gezeigt werden, wie große Datenmengen über modernen Mobilfunk wie 4G (zukünftig 5G) und einer leistungsfähigen Cloudumgebung in Echtzeit verfügbar gemacht werden können. In einem operativen Bahnbetrieb könnten diese Daten zukünftig den Leitstellen/dem Verkehrsmanagement übermittelt werden und beispielsweise für die Optimierung der Zugdisposition oder das schnelle Reagieren auf Störungen genutzt werden.

schematische Darstellung Ortung von Zügen
Abbildung 4: Darstellung der Visualisierungsumgebung des Sensors4Rail-Showcases. Die Szene zeigt exemplarisch die Live-Detektion von Landmarken (pink) und die durch den Abgleich mit der digitalen Karte berechneten Zugposition (violett) (Quelle: DB Netz AG)

Ausblick

Was sind die nächsten Schritte? Aktuell wird der Zug für die im Mai startenden Testfahrten der 2. Phase des Projektes vorbereitet. Durch eine Ausweitung des Testgebietes auf weitere Strecken im Hamburger S-Bahn-Netz können wertvolle Erkenntnisse über die Performance der Funktionen in unterschiedlichen Szenarien und Streckenabschnitten gewonnen werden. Außerdem steht eine Erhöhung der Diversität der Daten im Vordergrund. Dazu zählen neben neuen Teststrecken auch die Aufnahmen von Rohdaten bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen und Tages- sowie Nachtzeiten.

Diese Rohdaten der Sensoren dienen als Grundlage für die fortwährende Weiterentwicklung des Systems durch ein wiederholtes Training der verwendeten neuronalen Netze. Eine detaillierte Analyse der Abhängigkeit zwischen Menge der Test- und Trainings­daten sowie der Performance eines KI-basierten Systems ist notwendig, um die Aufwände für spätere Entwicklung, Erprobung und Einführung KI-basierter Funktionen für den operativen Betrieb besser einschätzen zu können. Vergleichbar ist die kommende Phase mit den ersten Testfahrten der mit Sensorik ausgestatteten Automobile für das vollautomatisierte Fahren auf der Straße – jedoch wird auch weiterhin der Triebfahrzeugführer die volle Kontrolle über das Fahrzeug haben. Das Sensors4Rail System läuft “im Stillen” mit und lernt.

Die Autoren bedanken sich neben den beteiligten Industriepartnern vor allem bei den Kolleg*innen der DB Systemtechnik, DB Systel und der S-Bahn Hamburg, ohne die eine Realisierung des Projektes Sensors4Rail nicht möglich gewesen wäre.


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