In Deutschland begann am 7. Dezember 1835 mit der Fahrt der ersten Eisenbahn eine neue Epoche. Damals war nicht denkbar, was heute selbstverständlich ist: Eisenbahnen verkehren mit Geschwindigkeiten von bis zu 350 km/h zwischen europäischen Metropolen, Menschen pendeln täglich mit Zügen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz und Güter aus der ganzen Welt werden auf der Schiene transportiert. Die Eisenbahn ist das Symbol eines Zeitalters, dessen Entwicklung sie entscheidend beeinflusst hat. Sie war die bedeutendste technische Innovation des 19. Jahrhunderts und wesentliche Grundlage für die dynamische Entwicklung von Handel, Wirtschaft und Wohlstand. Erst die Eisenbahn ermöglichte die schnelle und preiswerte Beförderung von Rohstoffen, Waren und Menschen.
Im Laufe ihrer knapp190-jährigen Geschichte hat die Eisenbahn in Deutschland zahlreiche Änderungen und Entwicklungen durchlaufen. In Anlehnung an politische und ökonomische Ereignisse lässt sich ihre Geschichte in vier wesentliche Epochen gliedern. Der Begriff Epoche steht hier für einen geschichtlichen Zeitabschnitt mit grundlegenden Gemeinsamkeiten.
Epoche 1: Länderbahnen (1835 bis 1920)
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Deutschland von einem landwirtschaftlich geprägten Land zu einem modernen Industriestaat. Mit dem Deutschen Bund bestand ein lockerer Staatenbund aus Fürstenstaaten und freien Städten. Er umfasste dabei nicht alle deutschen Gebiete, aber neben dem Kaiserreich Österreich noch einige weitere ausländische.
Erste Eisenbahnen in Deutschland
In Deutschland beginnt das Eisenbahnzeitalter am 7. Dezember 1835 mit der Eröffnung einer Eisenbahnverbindung von Nürnberg nach Fürth. In den Folgejahren entstanden zahlreiche Bahnverbindungen und erste kleinere Bahnnetze, die zum Teil von eigens gegründeten Aktiengesellschaften finanziert wurden. Der Kapitalbedarf für den Eisenbahnbau war gewaltig: Er umfasste zeitweilig fast zwei Drittel der deutschen Gesamtinvestitionen.
Der Eisenbahnbau wurde zum Wachstumsmotor für die Industrialisierung Deutschlands. Die Aufträge für den Bau von Eisenbahnstrecken, Fahrzeugen und Bahnhöfen kurbelten die Produktion vieler Industriezweige an. Schwerindustrie und Steinkohlebergbau entwickelten sich zum Zentrum der deutschen Wirtschaft. Der stark steigende Bedarf an Arbeitskräften führte zu einer Landflucht und später auch zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Die Bevölkerungszunahme in den Städten ging einher mit einer neuartigen Zuspitzung sozialer Missstände.
Bau und Betrieb von Eisenbahnen lagen anfangs in privater Hand; der Entwicklung lag keine zentrale Planung zugrunde. Noch am heutigen Verlauf zahlreicher Eisenbahnlinien ist zu erkennen, dass sie sich ursprünglich nicht nur an geografischen Gegebenheiten, sondern auch an ehemals politischen Grenzen zwischen den Fürstentümern, Ländern und Städten orientierten. Nur in einigen süddeutschen Ländern (Bayern, Baden, Württemberg) und in Mecklenburg, Oldenburg und Braunschweig ging man relativ schnell zum Staatsbahnsystem über.
Die Zeit der Verstaatlichungen
Die Verschiedenheit der deutschen Eisenbahnsysteme war für die Schnelligkeit der Entwicklung zunächst vorteilhaft. Sie führte aber durch den Bau von Konkurrenzlinien zur Unwirtschaftlichkeit und hemmte die Verkehrsentwicklung in den ärmeren Landesteilen. Da es an einem zusammenfassenden Reichsorgan fehlte, konnte der nötige Zusammenschluss der einzelnen Netze nicht erreicht werden. Einen Höhepunkt erreichte der Eisenbahnbau in Deutschland 1870; zu dem Zeitpunkt hatten die Bahnstrecken eine Länge von 20.000 km.
Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahre 1871 bemühte sich der damalige Reichskanzler Bismarck, die gesamten Eisenbahnen Deutschlands zu einer einheitlichen Reichseisenbahn zusammenzuschließen. Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 spiegelte bereits den Gedanken einer Einheit des deutschen Verkehrswesens wider.
Allmählich entwickelte sich der „Netzgedanke“ mit dem Ziel einer sinnvollen Verknüpfung der Verkehrswege und Verkehrsströme. 1886 übernimmt der preußische Staat die bedeutende „Rheinische Eisenbahngesellschaft“. Nun waren fast alle Eisenbahnunternehmen in den Ländern des Deutschen Reichs verstaatlicht. Die Staatsbahnen erwirtschafteten Gewinne und trugen entscheidend zum Wirtschaftswachstum bei.
Neuorganisation der Staatsbahnen
Als die ersten Bahnlinien in Betrieb gingen, war noch nicht abzusehen, wie sehr die Eisenbahn das Leben und auch den Städtebau verändern würde. Die eigentliche „Glanzzeit“ der Eisenbahnen begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Als Folge des stürmischen Wachstums stießen die Hauptstrecken fast überall an ihre Kapazitätsgrenzen. Die mittlerweile fast 60 Jahre alten baulichen und maschinentechnischen Anlagen und Einrichtungen könnten nicht mehr an das gestiegene Verkehrsaufkommen angepasst werden. Auch die frühen Bahnhofsbauten mit ihren angegliederten Bahnanlagen wurden bald zu klein und genügten dem Repräsentationsbedürfnis der selbstbewussten und kapitalstarken Staats- und Privatbahnen nicht mehr.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brachte der Neubau leistungsfähiger Bahnanlagen eine Entflechtung der bisherigen „Universalbahnhöfe“ und es entstanden Spezialanlagen für einzelne Betriebszwecke wie den Personenbahnhof, den Güterbahnhof oder das Bahnbetriebswerk. In den Städten entstanden prächtige Bahnhofsgebäude mit riesigen Hallenkonstruktionen aus Glas und Stahl, für die wenig später der Begriff „Kathedralen der Mobilität“ geprägt wurde. Beispiele aus dieser Zeit sind heute noch in Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Dresden und Leipzig zu bewundern.
Auch die Strecken wurden erneuert und bei der Gelegenheit für höhere Achslasten und Geschwindigkeiten ausgelegt. Gleichzeitig erhöhten neue Stellwerksgenerationen wie die elektromechanischen Bauarten die Sicherheit und Leistungsfähigkeit. Viele Städte mit mehreren Fernbahnhöfen begannen, diese auf direktem Wege miteinander zu verbinden.
Erster Weltkrieg
Im ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) hatte die Eisenbahn eine wichtige strategische Rolle gespielt. Damals wurden die verschiedenen Eisenbahnverwaltungen zusammengelegt und einer zentralen militärischen Leitung unterstellt. Die Zusammenarbeit nach der Bekanntgabe der Mobilmachung des deutschen Heeres am 1. August 1914 funktionierte deshalb auch reibungslos; nie zuvor waren so viele Soldaten und so große Materialmengen in Bewegung gesetzt worden. Mit der Niederlage Deutschlands endet auch die Zeit der eigenständigen deutschen Staatseisenbahnen.
Epoche 2: Deutsche Reichsbahn Gesellschaft (1920 bis 1949)
Zwischen 1919 und 1933 bestand mit der Weimarer Republik erstmals eine parlamentarische Demokratie in Deutschland. Die Nationalversammlung des Jahres 1919 verabschiedete die Weimarer Verfassung und forderte zur Stärkung der Reichseinheit eine Vereinheitlichung des Verkehrswesens, insbesondere der Eisenbahnen.
In Übereinstimmung aller Länder mit Staatsbahnbesitz wurde in der Weimarer Reichsverfassung die Übernahme aller Eisenbahnen, die dem allgemeinen Verkehr dienten, in das Eigentum des Reiches bestimmt und als Zeitpunkt der Vereinheitlichung der 1. April 1921 festgesetzt. Verwirklicht wurde dieser Artikel der Verfassung schon zum 1. April 1920 durch einen Staatsvertrag zwischen dem Reich und den damaligen acht Staatsländern unter Leitung des neu errichteten Reichsverkehrsministeriums. Die Deutsche Reichsbahn war gegründet und zwar als reine Staatsverwaltung, die an den Staatshaushalt und das Parlament gebunden war. Erst 1924 wurde ein rechtlich und wirtschaftlich selbstständiges Unternehmen gegründet: die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft. Diese hatte die Aufgabe, den Betrieb der Reichsbahn zu führen. Der Sachwert „Reichsbahn“ blieb im Besitz des Reiches.
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Die ersten Jahre der Weimarer Republik waren noch von den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs geprägt. Wirtschaftskrisen, politischer Terror und ein mangelndes Vertrauen in die Demokratie ließen sie 1933 scheitern. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Reichsbahn nach kurzer Zeit zu einem Werkzeug der Diktatur. Im Jahre 1937 wurde diese Gesellschaft wieder in die Deutsche Reichsbahn umgewandelt und in den nationalsozialistischen Staat integriert.
Damit war der Staatsbetrieb auch unmittelbar an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt. Ohne die Reichsbahn wäre die Deportation von Millionen Menschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager nicht möglich gewesen. 1938 veranlassten österreichische und deutsche Nationalsozialisten die Eingliederung des Bundesstaates Österreich in das nationalsozialistische Deutsche Reich; mit dem Anschluss ging auch die Österreichische Eisenbahn in der Reichsbahn auf.
Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen. Bei den folgenden Angliederungen weiterer Länder an Deutschland sowie der Besetzung von Gebieten durch die deutsche Wehrmacht wurden die jeweils fremden Bahnen in die Deutsche Reichsbahn eingegliedert. Wie bei allen Kriegen erfolgten die Transporte von Soldaten und Nachschub an die Fronten mit der Eisenbahn.
Zusammenbruch und Wiederaufbau
Der Zusammenbruch im Jahre 1945 legte die Reichsbahn nahezu völlig lahm. Die Bombenangriffe der Alliierten und die Zerstörungen der Wehrmacht auf ihrem Rückzug hatten zu einer weitgehenden Verwüstung der Bahnanlagen geführt. Nach und nach baute man Betrieb und Verwaltung aus kleinen örtlichen Anfängen wieder auf, doch es dauerte mehrere Monate, bis der Eisenbahnbetrieb wieder anlaufen konnte.
In dieser Zeit teilten die vier Siegermächte (Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich) Deutschland in vier Besatzungszonen auf. Die Ostgebiete wurden von den drei Westzonen abgetrennt und der Wiederaufbau der Eisenbahn und deren Verwaltung vollzogen sich zunächst in jeder Besatzungszone unterschiedlich.
Davon besonders betroffen war Berlin: Die im Juni 1948 verhängte Blockade der Land- und Wasserwege durch die Sowjets brachte schließlich den Verkehr von und nach West-Berlin fast vollständig zum Erliegen. Der nach Beendigung der Blockade im Mai 1949 wieder aufgenommene Zugverkehr war im Vergleich zu den Vorkriegsleistungen nur noch ein kümmerlicher Rest.
Epoche 3: Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn (1949 bis 1993)
Im Mai 1949 entstand aus den drei Westzonen die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Wenige Monate später wurde auf dem Gebiet der damaligen Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet. Damit war die Teilung Deutschland endgültig besiegelt. Während in den Westgebieten die Deutsche Reichsbahn in Deutsche Bundesbahn umbenannt wurde, behielt sie in der sowjetischen Besatzungszone die Bezeichnung aus statusrechtlichen Gründen bei.
Neustart der Deutschen Reichsbahn in der DDR
In der DDR war der Neustart als Folge der durch den Krieg zerstörten Bahnanlagen ausgesprochen schwierig. Auch hatte die sowjetische Besatzungsmacht ganze Bahnstrecken demontiert und zusammen mit Eisenbahnfahrzeugen als Reparationsleistungen in die UdSSR abtransportiert. Die Abriegelung der innerdeutschen Grenzen im Jahre 1952 führte zu einer weitgehenden Beendigung des Zugverkehrs in den Westen. Zur Umfahrung West-Berlins wurden die noch fehlenden Abschnitte des Berliner Außenrings ergänzt. Die Deutsche Reichsbahn erhielt von den Westalliierten die Zustimmung, die S-Bahn auch im West-Teil Berlins zu betreiben.
Deutsche Bundesbahn/Bundesbahngesetz
Nach der Schaffung der Bundesrepublik Deutschland hatte der Bundesminister für Verkehr, bei dem die Aufsicht über das gesamte Verkehrswesen liegt, mit Erlass vom 11. Oktober 1949 die Errichtung der Deutschen Bundesbahn (DB) proklamiert. Hiermit war zunächst die formelle Einheit der Eisenbahnen in der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz geschaffen.
Das Bundesbahngesetz (BbG) vom 13. Dezember 1951 beendete für den Bereich der Bundesrepublik die wechselvolle Entwicklung, die die Deutsche Reichsbahn seit 1945 durchzumachen hatte. Damit erhielten die Eisenbahnen der Bundesrepublik wieder einen einheitlichen Aufbau. Nach diesem Gesetz verwaltete die Bundesrepublik Deutschland unter dem Namen „Deutsche Bundesbahn“ das Bundeseisenbahnvermögen als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung.
Die drei Stufen der Bahnreform (Quelle: Vortrag 20 Jahre Bahnreform von Dr. Klaus Vornhusen (5. Ingenieurtag des VDEI 2014))[/caption]
Epoche 4: Deutsche Bahn AG (ab 1994)
Im Jahre 1989 legte der damalige Bundesminister für Verkehr einen Bericht zur Lage der Deutschen Bundesbahn vor. Er setzte die Regierungskommission Bahn ein, welche die Wettbewerbsfähigkeit, die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn, die Zukunft des Verkehrssystems Schiene und die Beteiligung regionaler Körperschaften am Schienenpersonennahverkehr untersuchen sollte. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurden 1990 Deutsche Bundesbahn und Reichsbahn mit dem Einigungsvertrag zu zwei getrennten Sondervermögen der Bundesrepublik Deutschland.
Der Schlussbericht der Regierungskommission Bahn lag 1991 vor. Er sah zur einheitlichen und unternehmerischen Führung der Eisenbahnen des Bundes die umgehende Gründung einer Deutschen Eisenbahn AG vor. Voraussetzung für die Gründung der Deutschen Bahn AG war die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates zu einer Änderung des Grundgesetzes.
Bahnreform
Mit der Verabschiedung der Gesetze zur Bahnreform im Dezember 1993 wurden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Erstens sollten die auf der Schiene transportierten Verkehrsmengen sowie der Anteil des Schienenverkehrs am Gesamtverkehrsmarkt gesteigert werden, was eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Eisenbahn erforderte. Zweitens wurden die dauerhafte Entlastung des Bundeshaushaltes und die Wiederherstellung finanzieller Berechenbarkeit festgeschrieben, was zwingend die wirtschaftliche Sanierung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn erforderte.
Zum 1. Januar 1994 wurde in einem Zwischenschritt das unter dem Namen „Deutsche Bundesbahn“ als nicht rechtsfähiges Sondervermögen verwaltete Bundeseisenbahnvermögen sowie das Sondervermögen Deutsche Reichsbahn zu einem nicht rechtsfähigen Sondervermögen des Bundes zusammengeführt und vom Bund unter dem Namen „Bundeseisenbahnvermögen“ verwaltet. Daraus wurde der unternehmerische Teil, der zum Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen und zum Betreiben der Eisenbahninfrastruktur notwendig war, auf die neu gegründete Deutsche Bahn AG ausgegliedert.
Die Verbindlichkeiten von Bundes- und Reichsbahn sowie die nicht für den Eisenbahnbetrieb notwendigen Immobilien wurden dem neu gegründeten Bundeseisenbahnvermögen zur weiteren Verwertung zugeordnet. Die hoheitlichen Aufgaben im Bereich Genehmigung und Unternehmensaufsicht wurden dem ebenfalls neu gegründeten Eisenbahn-Bundesamt (EBA) übertragen.
Eisenbahnregulierung
Im Jahre 2006 wurden die Regulierungsaufgaben vom EBA auf die ehemalige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post übertragen, die seitdem unter dem Namen Bundesnetzagentur (BNetzA) firmiert und als zentrale Infrastrukturbehörde für Strom, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen zuständig ist. Die BNetzA hat die Aufsicht über den Wettbewerb auf der Schiene übernommen und ist somit verantwortlich für die Gewährung eines diskriminierungsfreien Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur (Schienenwege und Serviceeinrichtungen) sowie zu den jeweiligen Dienstleistungen.
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