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4. International Railway Symposium Aachen

IRSA-Symposium zeigt Wege für die Bahn der Zukunft auf

Wahrzeichen der Kaiserstadt: Der Aachener Dom
Wahrzeichen der Kaiserstadt: Der Aachener Dom (Foto: Bahn Fachverlag GmbH)

Die Aufgabe, das System Bahn besser zu machen, ist alles andere als ein Himmelfahrtskommando. Dennoch drängt sich derzeit der Eindruck auf, als ob sich höhere Mächte gegen die Schiene verschworen hätten. Welches Zukunftspotenzial der Verkehrsträger tatsächlich besitzt, das zeigte das International Railway Symposium in Aachen.

Rund 250 Teilnehmende aus 11 Staaten waren im November in die Kaiserstadt gekommen, um das 4. International Railway Symposium der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen zu besuchen. Erstmals vom Schienenverkehrsbranchen-Informationsdienstleister Eurailpress organisiert, bot das IRSA 2023 den Teilnehmenden über 50 Vorträge an 2 Tagen und in 2 Sprachen (deutsch/englisch), einen Ausstellungsbereich, in dem unter anderem auch der Bahn Fachverlag seine Produkte präsentierte, und eine Netzwerk-Abendveranstaltung im Straßenbahndepot Aachen.

Die Vorträge kamen gleichermaßen aus Wissenschaft und Praxis und deckten das gesamte Spektrum des Systems Bahn ab: Von der Infrastruktur und deren Instandhaltung über das Kapazitätsmanagement und die Fahrplangestaltung bis hin zur Fahrzeugtechnik reichte das thematische Spektrum. Gleichwohl gab es ein übergeordnetes Thema – und das lautete „die Zukunft des Schienenverkehrs“.

System Schiene unter Druck

Wobei es um diese Zukunft derzeit eher düster zu stehen scheint, wie Professor Dr.-Ing. Christian Schindler von der RWTH Aachen in seiner Begrüßung zunächst einräumte. Man habe manchmal den Eindruck, sagte Schindler mit Blick auf den aktuellen Zustand der Infrastruktur und den Fachkräftemangel, die Welt habe sich gerade gegen das System Bahn verschworen. Auch das schwindende Interesse der Studierenden an ingenieurwissenschaftlichen Fächern – an der RWTH Aachen ist die Zahl der Immatrikulationen von Studierenden des Maschinenbaus um 30 Prozent zurück gegangen – und die Schließung von Eisenbahnlehrstühlen an den Universitäten, sei „eine bedenkliche Entwicklung“, so Schindler.

Andererseits gebe es aber auch gute Nachrichten, warf der Lehrstuhlinhaber des Instituts für Schienenfahrzeuge und Transportsysteme an der RWTH schließlich doch einen optimistischen Blick in die Zukunft: So sei die Einführung des Deutschlandtickets ein gutes, öffentlichkeitswirksames Signal für die Schiene gewesen, und auch der Aufbau des Rail Campus OWL (OWL für Ostwestfalen-Lippe) sowie der erfolgreiche englischsprachige Studiengang Rail Systems Engineering an der RWTH zeigten, dass es auch im akademischen Bereich hoffnungsvolle Ansätze für die Schiene gebe.

Sprach zur Eröffnung: BMDV-Ministerialdirektorin Corinna Salander
Sprach zur Eröffnung: BMDV-Ministerialdirektorin Corinna Salander (Foto: Bahn Fachverlag GmbH)

Kapazitätserweiterung

Gleichwohl steckt der Verkehrsträger Schiene unbestritten in einer schwierigen Situation, und wie es weiter gehen soll, ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November, das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 der Bundesregierung für verfassungswidrig und damit nichtig zu erklären, unklar: Mit dieser Entscheidung klaffte von jetzt auf gleich ein Loch von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt, was unter anderem auch Tempo und Ausmaß der Investitionen in die Schiene in Frage stellte.

Was diese Nachricht konkret für die Branche bedeutet, konnte Professorin Dr.-Ing. Corinna Salander den Teilnehmenden auf der IRSA 2023 erläutern: Insgesamt seien es 25 Milliarden Euro, die der Schiene in den kommenden Jahren durch das Urteil in Karlsruhe fehlten, aber dennoch könne die Bahnbranche einiges tun, um ihre Wettbewerbsposition zu verbessern, relativierte die Abteilungsleiterin Eisenbahn im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV).

Sicher komme zum Beispiel zum Jahresbeginn 2024 der Zusammenschluss der beiden Eisenbahninfrastrukturunternehmen DB Netz AG und DB Station&Service AG zur gemeinwohlorientierten InfraGO. Außerdem stünden zwei entscheidende „Kapazitätserweiterer“ für das Schienennetz fest: die Sanierung der Hochgeschwindigkeitsstrecken inklusive Korridore bis zum Jahr 2030 und die Umsetzung der Vorhaben aus dem Bundesverkehrswegeplan zum Neu- und Ausbau des Schienennetzes.

Hinzu kämen noch die Investitionsmittel wie die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LufV) zwischen Bund und DB, die immer noch höher ausfielen als in den Jahren zuvor, wollte sich Salander auf eine pessimistische Sicht zur Zukunft der Schiene gar nicht erst einlassen. Sorgen bereiteten ihr eher die sinkenden Studierendenzahlen: „Uns fehlen die Leute, nicht nur auf dem Bau, die die Pläne auch umsetzen“, sagte Salander.

Rolle der Technik

Ein leidenschaftliches Plädoyer für die Ingenieurwissenschaften hielt in diesem Zusammenhang Professor Dr.-Ing. Lutz Eckstein. Der Präsident des Verbands Deutscher Ingenieure (VDI) forderte in seiner Keynote nicht weniger als einen Mentalitätswandel in Deutschland, um der zentralen Rolle der Technik für die Zukunftsfähigkeit des Landes wieder herauszustellen.

97 Prozent der Menschen in Deutschland glaubten, dass technische Innovationen wichtig für Zukunft seien, aber nur gut die Hälfte der Menschen glaube nicht an die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands: „Wir sollten die Rolle der Technik und ihrer innovativen Kraft stärker herausstellen“, sagte Eckstein. Er drängte darauf, den Anteil von Frauen an Ingenieursstudiengängen endlich nachhaltig zu erhöhen und sprach sich dafür aus, dass sich Deutschland strategische Technikziele nach dem Vorbilds Chinas oder Indiens setze. „Wir brauchen eine Vision, wo Deutschland im Jahr 2050 stehen will“, sagte Eckstein.

Veranstaltungsort: Das Eurogress in Aachen
Veranstaltungsort: Das Eurogress in Aachen (Foto: Bahn Fachverlag GmbH)

Zukunftsgestaltung

Dr. Thomas Hempe von DB Fernverkehr und Daniel Scherrer von der SBB führten den Teilnehmenden am IRSA 2023 mit ihren beiden Vorträgen vor Beginn der Vortragssessions noch einmal vor Augen, worum es grundsätzlich bei der Gestaltung eines Systems Bahn für die Zukunft geht: einerseits konsequent an den Zielen festzuhalten und andererseits die Bereitschaft, dieselben immer wieder zu überprüfen und, wenn nötig, anzupassen.

So strich Hempe heraus, dass die DB allen Widrigkeiten zum Trotz seit vier Jahren an ihrer Wachstumsstrategie „Starke Schiene“ festhalte. Die Verdoppelung der Passagierzahlen im Personenverkehr, die Erhöhung des Marktanteils des Güterverkehrs auf 25 Prozent, die Verringerung der Emissionen und der Aufbau eines europäischen Schienennetzes: All diese Ziele ließen sich nur mit einem langen Atem erreichen, sagte Hempe.

Scherrer hingegen zeigte in seinem Vortrag, dass der Schlüssel für mehr Kapazität auf den Schienennetzen nicht etwa in der weiteren Erhöhung der System-Komplexität liegt, sondern im Gegenteil in ihrer Reduktion: Zu viele Abhängigkeiten im System erhöhten die Fehleranfälligkeit. Deshalb sei es wichtig, ganzheitlich und nicht „im Silo des eigenen Zuständigkeitsbereichs“ zu denken, klar zu priorisieren, um sich nicht im täglichen Kleinklein zu verzetteln, und Mühe darauf zu verwenden, den Menschen zu erklären, was man mache und vorhabe. Die SBB sei in dieser Hinsicht noch lange nicht am Ziel, sondern stehe, was diese grundsätzlichen Prämissen angehe, noch ganz am Anfang, sagte Scherrer.

Fazit

Eurailpress-Verlagsleiter Manuel Bosch unterstrich, dass die schwierige Situation, in der die Bahnbranche derzeit stecke, einen gemeinsamen Austausch erfordere. Dieser sei, gerade was die Schnittstelle zu Wissenschaft und Praxis angehe, beim IRSA gegeben und auf einem hohen inhaltlichen Niveau, freute sich Bosch darüber, dass Eurailpress nun die Ehre habe, die Organisation des Veranstaltungsformats der RWTH Aachen übernommen zu haben.

Hinweis
Einen Rückblick zum IRSA 2023 finden Sie unter: https://irsa.eurailpress.de


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