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Gemeinsame Fahrdienstvorschrift

Harmonisch durch Europa

Bahnhof Pau in Frankreich
Bahnhof Pau in Frankreich (Foto: Werner Ried)

Einheitliche Regeln und technische Standards sind der Schlüssel für die Zukunft des europäischen Eisenbahnraums. Das Ziel des EU-Projektes „Europe’s Rail“ [1] ist daher u. a., die unterschiedliche Praxis im europäischen Bahnbetrieb zu harmonisieren und den Bahnsektor unter Nutzung technisch-organisatorischer Innovationen zu modernisieren. Eisenbahnen und Hersteller aus ganz Europa arbeiten dazu als „Joint Undertaking“ [2] zusammen. Ein Schwerpunkt liegt im Bereich Zugsteuerung, Zugsicherung (ZZS) sowie Leit- und Sicherungstechnik (LST). Diese baut auf ETCS (European Train Control System) im Level 2 ohne streckenseitige Lichtsignale auf. Einer gemeinsamen europäischen Fahrdienstvorschrift für ETCS kommt daher immer mehr Bedeutung zu. Ein gemeinsames Gestalten in Europe’s Rail garantiert den Herstellern und Bahnen Marktchancen sowie Planungs- und Investitionssicherheit.

Abbildung 1: Der Wirtschaftstheoretiker und Eisenbahnpionier Friedrich List harmonisierte im 19. Jahrhundert den deutschen Eisenbahnraum (Briefmarke der Deutschen Bundespost von 1989) (Quelle: [4])
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Friedrich List die zersplitterte Bahnwelt deutscher Kleinstaaten erfolgreich harmonisiert. Ein solcher Schritt steht seit Jahrzehnten auch auf der europäischen Tagesordnung. Beispiele sind ERTMS (European Rail Traffic Management System) für Zugfunk und Zugsicherung, EULYNX für die standardisierte Schnittstellen im digitalen Bahnsystem und das Engagement an den betroffenen Landesgrenzen.[3]

Jetzt gilt es, nicht nur wie zu Zeiten von Friedrich List 38 innerdeutsche Zollschranken und verschiedene Zeitzonen abzubauen. Vielmehr muss der Bahnsektor die über rund zwei Jahrhunderte gewachsenen Besonderheiten der einzelnen europäischen Bahnsysteme zusammenführen. Sie waren geprägt von Partikularinteressen zum Teil militärischer Art wie unterschiedliche Spurweiten, von sprachlich-kulturellen Unterschieden sowie von kaum zusammenpassenden Regelwerken.

Die Europäische Kommission hat daher ein Projekt gleich längerfristig angelegt und mit mehr als einer Milliarde Euro ausgestattet: „Europe’s Rail Joint Undertaking“ (ERJU) zielt darauf ab, ein harmonisiertes Bahnsystem in Europa zu schaffen, mit Prinzipien der modularen Systemarchitektur und standardisierten Schnittstellen. Wichtige Bausteine darin sind der neue Zugfunk mit 5G-Standard (FRMCS[5]), ETCS mit Sicherheitsbewertung und betrieblichem Regelwerk sowie die Digitale Automatische Kupplung (DAK).

Zwei tragende Projektpfeiler

ERJU ist auf zwei Pfeilern aufgebaut: System Pillar[6] und Innovation Pillar.[7] In beiden Projektpfeilern widmen sich Expert*innen der Hersteller und Bahnen der vorgenannten Zielsetzung. Aufgrund dieser Zusammenarbeit trägt Europe’s Rail den Zusatz „joint undertaking“, also „gemeinsames Vorhaben“.

Im System Pillar steht die Architektur und Entwicklungsplanung für den Bahnsektor im Vordergrund der Arbeit. Beim Innovation Pillar geht es um zugehörige Technik-Innovationen und deren erste Anwendung in Form von Demonstratoren. In regelmäßigen Abstimmungsrunden koordinieren die Arbeitsgruppen der jeweiligen Pfeiler ihre Zusammenarbeit.

In sechs großen Arbeitsfeldern, sogenannten Flagship Projects (FP), entwickeln Expert*innen im Innovation Pillar die Grundlagen für die Zukunft der europäischen Bahn. Diese Projekte sind:

  • Digitales Verkehrsmanagementsystem und FP-übergreifende Digitalisierungsgrundlagen (Digitales Engineering bis zu Digitalen Zwillingen)
  • Digitalisierung und Automatisierung des Zugbetriebes (DATO)
  • Zustandsüberwachung und Entscheidungsunterstützung unter Nutzung u. a. Künstlicher Intelligenz
  • Ökologisierung des Bahnsystems u. a. Antriebswende, Emissionsreduktion
  • Modernisierung des Güterverkehrs
  • Effizienz und Serviceorientierung für Regionalbahnen
Abbildung 2: Struktur und Themen von System- und Innovation Pillar in Europe‘s Rail (Quelle: DB InfraGO/Werner Ried)

Zielzustand: der einheitliche europäische Eisenbahnraum

Der Zielzustand von Europe’s Rail ist ein einheitlicher europäischer Eisenbahnraum (Single European Railway Area, SERA). Im Zeitraum 2022 bis 2031 will die EU mit diesem Projekt nationale Besonderheiten überwinden und technische Innovationen treiben und umsetzen. Das europäische Eisenbahnsystem soll damit auch in den automatischen, fahrerlosen Fahrbetrieb einsteigen und dafür den Zug-/Datenfunk weiterentwickeln (FRMCS löst GSM-R ab).

Die wichtigste Grundlage für die Harmonisierung und damit auch die Interoperabilität bleibt jedoch ETCS. ETCS Level 2 ohne streckenseitige Lichtsignale (L2oS) ist der Standard für das Zukunftskonzept und das zugehörige Regelwerk. In Deutschland ist mit Wendlingen–Ulm eine weitere Strecke mit dieser Technik in Betrieb gegangen. Das Programm Digitale Schiene Deutschland der DB InfraGO AG plant, die Infrastruktur im Raum des Digitalen Knoten Stuttgart, auf dem Korridor Scan-Med und der Schnellfahrstrecke Köln–Rhein/Main entsprechend auszurüsten.

Technische Spezifikationen für Interoperabilität als gesetzliche Grundlage

Gemeinsamer Treiber zur Pflicht-Einführung dieser neuen Verfahren sind in der EU die Technischen Spezifikationen für Interoperabilität, kurz TSI. Die Neufassungen für die Bereiche Bahnbetrieb (TSI OPE) und Leit- und Sicherungstechnik (TSI CCS) waren zuletzt 2023 in Kraft getreten. Ergebnisse aus Europe’s Rail sollen dieses Gesetzeswerk fortentwickeln. Die nächste Fortschreibung der TSI ist nach 2027 geplant, auf der Grundlage eines Mandats der Europäischen Kommission an die Europäische Eisenbahnagentur (ERA), das im Juni 2024 im Sinne von Zielvorgaben von den EU-Mitgliedstaaten beschlossen wird.

Harmonisierung bedeutet Optimierung

Im System Pillar heißen die Teilprojekte „Domänen“ (englisch „Domain“). Ein Beispiel von zentraler Bedeutung ist die „Operational Design Domain“. Sie widmet sich der Herausforderung, den Bahnbetrieb für funkbasiertes ETCS zu harmonisieren. Hierbei geht es darum, aufbauend auf bewährten Praxisbeispielen des Bahnbetriebs in den Mitgliedsstaaten eine optimierte, gemeinsame und innovative Betriebspraxis für die Zukunft zu entwerfen. Anhand von betrieblichen Szenarien für den normalen und den vorhersehbaren gestörten Betrieb entwickelt diese Domäne im Zusammenspiel mit weiteren Domänen wie z. B. „Architecture“, „Migration“ und „PRAMS“ (Performance und Realibility Availability, Maintenance, Safety)[8] die Strategie und die inhaltliche Grundlage für den Zielzustand SERA.

Grundvoraussetzung ist dabei eine Systemarchitektur, die sowohl betriebliche und funktionale Sicherheit als auch Cybersicherheit berücksichtigt. Dies gilt für alle Arbeitsfelder („Tasks“) des System Pillars vom Eisenbahnverkehrsmanagement über die Zugsteuerung, die Zugsicherung, das automatisierte Fahren sowie insbesondere für die Leit- und Sicherungstechnik.

Kooperation und Mitarbeit in Europe’s Rail

Die Mitarbeit von Bahnindustrie und Eisenbahnen in Europe’s Rail ist die gemeinsame Chance auf frühzeitige Information und auf Teilhabe am Entwicklungsprozess hin zum Zielzustand „SERA“. Künftige Normen und insbesondere die TSI müssen diesen Prozess unterstützen. Der Bahnsektor kann sich dadurch auf die zu erwartenden Herausforderungen frühzeitig ausrichten; zugleich hatten und haben Bahnen und Hersteller Gelegenheit, die Arbeit im System Pillar und im Innovation Pillar inhaltlich mitzugestalten und ihre Anforderungen einzubringen.

Beispiel System Pillar Domain: Bahnbetrieb der Zukunft

Bei der Arbeit an betrieblichen Szenarien für die Zukunft sichten die Aktiven in der System Pillar Domain „Operational Design“ vorhandene Betriebsprozesse der einzelnen Bahnen. Schwachpunkte und Vorteile unterschiedlicher Vorgehensweisen kommen dadurch ans Tageslicht. Es gilt, voneinander zu lernen und das Für- und Wider abzuwägen sowie Verbesserungsbedarf zu erkennen.

Der Anspruch ist dabei, den operativen Bahnbetrieb effizienter, weil schneller, kapazitäts- und ressourcenschonender zu gestalten. Die Szenarien haben beispielsweise zum Ziel, störanfällige oder langandauernde Prozesse wie die Übermittlung von Befehlen bzw. die mündliche Kommunikation zwischen Akteuren des Bahnbetriebs zu vermeiden bzw. weitgehend durch automatisierten Datenaustausch zu ersetzen.

Betriebliche Zukunfts-Szenarien: Beispiel Stärken von Zügen

In einem der Szenarien stellte sich die Frage, wie in Zukunft bei Einfahrt in ein besetztes Gleis zum Stärken von Zügen (Joining) die heute notwendigen langsamen Einfahrten und Zwischenstopps vermieden werden können. Wer kennt das nicht: Bei Einfahrt eines Zuges, der auf einen wartenden Zug kuppeln soll, müssen Reisende erst ein erstes Anhalten und dann die Kuppelprozedur abwarten, bevor sich endlich die Türen zum Aus- und Einsteigen öffnen.

Ein Blick auf die heutige Praxis in Europa zeigt sehr unterschiedliche Betriebsverfahren zur Einfahrt in ein besetztes Gleis. Dank moderner Technik soll dieser Prozess zukünftig harmonisiert, also für alle Bahnen in gleicher Weise ablaufen und weder durch Rangierfahrten noch durch betriebliche Zwischenstopps, z. B. zum Umstellen auf Kuppelgeschwindigkeit unterbrochen sein.

Das neue betriebliche Szenario zielt darauf ab, direkt aus einer Fahrterlaubnis in ETCS automatisiert abzubremsen und in die fahrzeugspezifische Kuppelgeschwindigkeit zu wechseln. Einige technische Voraussetzung dafür fehlen noch, z. B. eine Kommunikation der streckenseitigen und fahrzeugseitigen LST. Ziel der Arbeit im System Pillar ist, solche Anforderungen an technische Entwicklungen frühzeitig an die Industrie zu adressieren.

Viele andere Szenarien beschreiben ebenso wie beim „Joining“ (s. o.) den Normalbetrieb, z. B. eine Fahrt von A nach B mit den zugehörigen Prozessschritten wie „Start of Mission (SoM)“ unter ETCS L2oS. Auch für den gestörten Betrieb haben die Akteure im System Pillar neue harmonisierte Szenarien entworfen, unter Analyse des heutigen Vorgehens in verschiedenen Ländern. Dazu zählen zum Beispiel das Abschleppen von liegengebliebenen Zügen, die Fahrt über einen gestörten Bahnübergang oder das Verhalten bei Ausfall der Datenverbindung.

Abbildung 3: Der Weg zum einheitlichen Eisenbahnraum in Europa „SERA“ unter Einführung neuer Technik
Abbildung 3: Der Weg zum einheitlichen Eisenbahnraum in Europa „SERA“ unter Einführung neuer Technik (Quelle: DB InfraGO/Werner Ried)

Ein neues Regelwerk entsteht

Am Ende der Arbeit soll ein sowohl harmonisiertes als auch zugleich optimiertes Vorgehen für die einzelnen Prozesse und damit die Grundlage für das spätere Regelwerk stehen. Übergreifend wirksame Neuerungen darin betreffen zum Beispiel für den Bahnbetrieb der Zukunft unter ETCS L2oS, dass die historisch gewachsene Unterscheidung in Bahnhof und Strecke entfallen kann sowie die Grenze zwischen Rangier- und Zugfahrt zugunsten einer grundsätzlichen technischen Überwachung einer Zugbewegung verschwindet.

Inzwischen liegen 28 strukturiert beschriebene Szenarien für den Bahnbetrieb der Zukunft vor. Sie reichen von der Beschreibung des Normalbetriebs unter ETCS L2oS bis hin zu Szenarien für den gestörten Betrieb.

Modellbasiertes System-Engineering

Was bei manchen Szenarien angesichts noch fehlender Technik wie eine Science-Fiction-Eisenbahn klingt, fließt im System Pillar zur Architektur und Migrationsplanung zusammen. Dabei nutzen die Expert*innen eine standardisierte Entwicklungsmethode der Prozesse und Anforderungen anhand des Modellbasierten System-Engineerings (MBSE). Ziel ist, die Qualität der Spezifikationen in der TSI zu erhöhen. Das Verfahren „Arcadia“ bildet jedes Betriebsszenario mit standardisierter Beschreibung modellhaft mit der freien Software „Capella“ ab.

Der System Pillar erarbeitet und koordiniert auch neue Anforderungen, um Fahrzeuge und LST weiterzuentwickeln. Dazu zählt beispielsweise eine optimierte Kommunikation zwischen Fahrzeug und streckenseitiger LST: Sie muss zukünftig einerseits in der ETCS-Betriebsart FS (Full Supervision) automatisch in die fahrzeugspezifische Kuppelgeschwindigkeit wechseln können oder einen Kuppelvorgang als erfolgreich an die LST zurückmelden können (siehe Beispiel oben).

Spiegelgruppen: mehr EVU-Beteiligung erwünscht

Eisenbahner*innen aus Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) neben den Herstellervertretern leisten vorrangig die Arbeit im System Pillar, Domäne Operational Design. Wünschenswert ist eine stärkere Repräsentanz auch aus Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Das würde die notwendige Perspektivenvielfalt auf die Anforderungen des Bahnbetriebs stärken.

Eine Chance dazu bieten die sogenannte Spiegelgruppen (Mirror Groups). Hier stellt das Domain-Team regelmäßig Arbeitsergebnisse zur Diskussion. Wer hier aus den EVU unterstützen möchte, wende sich gerne an den Autor (Kontaktdaten am Schluss dieses Beitrags).

Abbildung 4: Strukturübersicht zum Europe’s Rail System Pillar mit Leitungsebene, Arbeitsfeldern (Taks 1-4) und Domänen im Bereich LST (Task 2)
Abbildung 4: Strukturübersicht zum Europe’s Rail System Pillar mit Leitungsebene, Arbeitsfeldern (Taks 1-4) und Domänen im Bereich LST (Task 2) (Quelle: Europe’s Rail, Übersetzung: Werner Ried)

Der Weg zur europäischen Fahrdienstvorschrift

Ein Blick auf die Aktivitäten der europäischen Bahnen zeigt, dass Neu-Auflagen für nationale Fahrdienstvorschriften bevorstehen oder schon – teils in englischer Sprache – entstanden sind. Der zugrundeliegende Standard von ETCS L2oS als Zugsicherungstechnik macht viele Elemente aus den bisherigen Regelwerken obsolet. Zugleich gibt es Neuerungen, denen das neue Regelwerk für den Normalbetrieb, aber auch viele Ebenen des gestörten Betriebes Rechnung tragen wird. Mit dem Ziel eines einheitlichen Regelwerkes als europäische Fahrdienstvorschrift (European Operational Rulebook) wird sich der System Pillar weiter befassen.

Einige Bahnen, wie z. B. Banedanmark (BDK) in Dänemark haben ein solches Regelwerk bereits auf Englisch verfasst; die tschechische Bahnverwaltung Správa železnic hat die relevanten Prozesse in Flussdiagrammen dokumentiert; in Deutschland liegen erste Erfahrungen für eine neue Fahrdienstvorschrift „Ril 400“ vor.[9] Sie soll die bestehende Fahrdienstvorschrift Ril 408 für Strecken unter ETCS L2oS (“ETCS-only”) ersetzen. Erste Darstellungen dieser Regeln liegen auch auf Englisch vor, um den Austausch mit Fachpartnern auf europäischer Ebene zu erleichtern.

Abbildung 5: Mitarbeitende von Správa železnic in Prag und DB InfraGO testen im Serious Gaming ein neues Regelwerk (Ril 400 t)
Abbildung 5: Mitarbeitende von Správa železnic in Prag und DB InfraGO testen im Serious Gaming ein neues Regelwerk (Ril 400 t) (Foto: Werner Ried)

European Serious Gaming

Die Expert*innen von DB InfraGO AG und Digitale Schiene Deutschland haben für die Veranschaulichung und Prüfung ihrer Arbeitsergebnisse zur Ril 400 einen besonderen Ansatz gewählt. Sie setzen ebenfalls ein Modell ein, jedoch nicht wie bei MBSE zur Simulation der Technik (s. o.), sondern ein Simulations-Modell für den Bahnbetrieb zum Anfassen und Begreifen: Mit taktilen Bildschirmen, anklickbaren Prozessübersichten und einer Modellbahnanlage können Teilnehmende die modernisierten Regeln und Prozesse des normalen und gestörtem Zugbetriebes mit verschiedenen Rollen durchspielen.

Mit diesem Ansatz des sogenannten „Serious Gamings“ suchen die Ril 400-Autor*innen den Austausch mit betroffenen Kolleg*innen aus dem Bereich Fahrdienst und Fahrpersonal bis hin zu Ausbildenden, Führungskräften und Betriebsräten. Wertvolle Kritik- und Rückmeldungen sind dadurch bereits in den Entwurf der neuen Ril 400 eingeflossen.

Seit 2023 findet dieser fachliche Diskussionsprozess auch auf europäischer Ebene statt. Sehr fruchtbar war und ist der Austausch mit europäischen Partnern, wie z. B. EIU, darunter SNCF Réseau in Frankreich oder Správa železnic in der Tschechischen Republik. Auch Experten aus dem System Pillar und von der ERTMS Users Group (EUG) in Brüssel haben bereits teilgenommen.

Weitere europäische Veranstaltungen sind geplant. Voraussetzung ist jedoch, dass möglichst viele der Unterprozesse auch in englischer Sprache übersetzt und nachvollziehbar sind.

Erfolgskriterium Digitale Plattform und Change Management

Die historisch gewachsenen Regelwerke sollen einem modernen, digitalen und harmonisierten Betriebshandbuch weichen. Das bedeutet eine weitreichende Veränderung für die Nutzenden, gerade bei der großen Anzahl an Fahrdiensteiter*innen und Triebfahrzeugführer*innen. Ziel ist daher eine deutlich größere Nutzendenfreundlichkeit und Entlastung der betroffenen Anwendenden im Vergleich zum bisher genutzten Papierdokument.

Eine neue Darstellungsweise mit Flussdiagrammen zu den Prozessen sowie eine einfache Bedienung mit taktilen Bildschirmen unterstützt die leichte Handhabe. Das kontextbezogene Arbeiten an einem digitalen Endgerät erleichtert die Arbeit für die Endnutzenden. Das Suchen von Schlüsselbegriffen in einem Papierdokument gehört dann der Vergangenheit an.

Das digitale Format mit einer optimalen Technik zu finden, ist eine Voraussetzung für die gut zu planende Schulung der Anwendenden und die erfolgreiche Einführung des neuen Regelwerkes. Die Erfahrung aus Digitalisierungsprojekten der Bahn, z. B. „Mein Prozess“ der DB Fernverkehr AG, hat gezeigt, dass die bedingungslose Ausrichtung der Tools und Methoden an den Bedürfnissen der Nutzenden der entscheidende Erfolgsfaktor ist.[10]

Abbildung 6: Ein Zug der norwegischen Bahn „Vy“ im schwedischen Bahnhof Göteborg Central kurz vor der Abfahrt nach Oslo
Abbildung 6: Ein Zug der norwegischen Bahn „Vy“ im schwedischen Bahnhof Göteborg Central kurz vor der Abfahrt nach Oslo (Foto: Werner Ried)

Bilaterale Zusammenarbeit der Bahnen

Kooperationsprojekte der Eisenbahninfrastrukturunternehmen wie z. B. die „Feste Fehmarnbelt-Querung“, die „Neubaustrecke Dresden-Prag“ und „Brenner-Nordzulauf“ sind prädestiniert, auch beim Regelwerk im Sinne der Standardisierung zusammen zu arbeiten.

Einen ersten Test einer solchen Zusammenarbeit haben die Netzbetreiber von DB und SNCF gestartet. Dabei geht es für DB InfraGO AG und SNCF Réseau darum, die in ähnlicher Zeitlage geplanten Streckenausrüstungen zum Hochleistungskorridor Köln-Rhein/Main und zur Strecke zwischen Marseille und Ventimiglia (Projekt HPMV „Haute Perfomance Marseille–Ventimille”) mit einer gemeinsamen Regelwerksgrundlage auszustatten. Damit ergibt sich die Chance, Ressourcen zu bündeln und gemeinsame Standards zu etablieren.

Ausblick

Europe’s Rail mit seinen Projektpfeilern des System- und Innovation-Pillars sind im Jahr 2022 gestartet und haben sich seither erfolgreich entwickelt. Das Engagement der Industriepartner und Bahnunternehmen setzt sich fort und zielt inzwischen auf ein gemeinsames Regelwerk für den europäischen Bahnbetrieb ab. Diese Initiativen auf europäischer Ebene lenken und stärken jeweils nationale Vorhaben mit gleicher Zielrichtung. Dabei gewonnene Erfahrungen mögen den Fortschritt von Europe’s Rail beflügeln und den Harmonisierungsprozess beschleunigen.

Auf der ERTMS-Konferenz der ERA vom 23. bis 25. April in Valenciennes sowie der InnoTrans im Herbst in Berlin werden sich sowohl das Europe’s Rail-Projekt als auch die Digitale Schiene Deutschland präsentieren.

Kontakt zum Autor
werner.ried@deutschebahn.com

Quellen
S. Altmann, M. Cichos, M. Kopitzki: Anwendung der Fahrdienstvorschrift für den digitalen Bahnbetrieb; Deine Bahn 10/2023, S. 18-25.

Reinhard Klimt, Werner Ried: Auf die Schiene mit der Großregion – Für eine Renaissance der Bahn in SaarLorLux; Nomos, Baden-Baden 2010

Werner Ried: Infrastruktur und Entwicklungspotenzial der Eisenbahnen im SaarLorLux-Raum, Dissertation Universität Trier, 2014

Werner Ried: Transition auf Grenzstrecken: Ein Strategiewechsel ist nötig; Deine Bahn 4/2018, S. 20–26

Werner Ried: Digitale Zugdaten: Bremsberechnung und Zugabfertigung auf Mobilgeräten; Deine Bahn 2/2022, S. 20-25

Webseite von „Europe’s Rail Joint Undertaking“ (englisch): https://rail-research.europa.eu

Anmerkungen
[1] https://rail-research.europa.eu/

[2] Zusammenarbeit von Eisenbahnen und Herstellern

[3] Vgl. Klimt/Ried 2010; Ried 2014

[4] Quelle Wikipedia: scanned by NobbiP, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12385425

[5] Future Rail Mobile Communication System

[6] https://rail-research.europa.eu/system_pillar/

[7] https://rail-research.europa.eu/eu-rail-projects/

[8] Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit, Sicherheit

[9] Deine Bahn 10/2023: „Anwendung der Fahrdienstvorschrift für den digitalen Bahnbetrieb

[10] Vgl. Ried Deine Bahn 2/2022


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