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Projekt DAWN-LM

Digital unterwegs auf der letzten Meile

Foto: DB AG/Volker Emersleben
Foto: DB AG/Volker Emersleben

Die Verkehrswende hin zu einem emissionsärmeren und schienenbasierten Gütertransport stellt den Einzelwagenverkehr vor erhebliche logistische und wirtschaftliche Herausforderungen. Der Hauptlauf im Einzelwagenverkehr dominiert in Bezug auf die Streckenlänge, jedoch entfallen überproportionale Kosten auf Vor- und Nachlauf aufgrund des hohen Personal- und Rangieraufwands. Mit dem Projekt DAWN-LM wird eine innovative Lösung vorgestellt, die durch Automatisierung und Digitalisierung diese Schwachstellen adressiert.

DAWN-LM setzt auf modulare Erweiterungen bestehender Wagenparks, um eine rasche Marktdurchdringung bei moderaten Investitionskosten zu erreichen. Kernkomponenten sind ein digitaler Zwilling zur Längsdynamik-Simulation, Edge Computing für lokale Datenverarbeitung sowie umfassende Zustandsüberwachung des Fahrzeugs und der Ladung. Die automatisierte Umfelderkennung ermöglicht eigenständige Fahrbewegungen im Werksbereich, während eine kostengünstige Energieversorgung die Autonomie der Fahrzeuge sicherstellt.

Das Projekt wird vom mFUND des Bundesministeriums für Verkehr gefördert und zielt darauf ab, den Einzelwagenverkehr (EWV) effizienter in Logistik-prozesse zu integrieren und somit einen Beitrag zur Erreichung der nationalen Verkehrsziele zu leisten.

Abbildung 1: Anteil des Schienengüterverkehrs im Modal Split
Abbildung 1: Anteil des Schienengüterverkehrs im Modal Split (Quelle: [1])

Hintergrund

Das politische Ziel der Emissionsminderung im Verkehrssektor und damit einhergehend der Verkehrsverlagerung auf die Schiene führt an vielen Stellen zu Kapazitätsengpässen. Zu den Engpässen zählt neben dem Netz auch die Kapazität der Terminals für den kombinierten Verkehr (KV). Damit wird die Erreichung des Ziels der Bundesregierung von 25 Prozent Verkehrsanteil auf der Schiene zunehmend schwieriger zu erreichen, wie Abbildung 1 illustriert.

Der Anteil des EWV im Schienengüterverkehr (SGV), gemessen am Umsatz, beträgt etwa 20 bis 25 Prozent des Gesamtumsatzes.[1] Kunden von EWV-Leistungen sind überwiegend in den Sektoren Industrie und Chemie zu finden.[2] Damit ist offensichtlich, dass bei einer ernsthaften Verfolgung der Ziele der Verkehrsverlagerung der EWV eine Rolle spielen muss.

Gleichzeitig steht der EWV vor erheblichen Herausforderungen, die sowohl wirtschaftliche als auch logistische Aspekte betreffen. Naturgemäß macht der Hauptlauf mit durchschnittlich 459 km den größten Teil der Gesamtstrecke im Einzelverkehr aus, während Vor- und Nachlauf lediglich je 30 km zur Strecke beitragen. Dennoch entfällt nahezu die Hälfte der Gesamtkosten auf Vor- und Nachlauf, was auf den hohen Rangier- und Personalaufwand zurückzuführen ist.[3] Die Verhältnisse sind in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2: Strecken- und Kostenanteile im EWV
Abbildung 2: Strecken- und Kostenanteile im EWV (Quelle: Daten nach [3])
Von den Gesamtkosten im EWV entfallen nach der Befragung durch die Bundesnetzagentur je ein Fünftel auf Personal sowie die Bereitstellung von Triebfahrzeugen. Der große Anteil der Personalkosten wie in Abbildung 3 dargestellt, zusammen mit dem im Sektor allgegenwärtigen Personalmangel, weist einen deutlichen Bedarf an Automatisierungslösungen aus.

Neben den logistischen und organisatorischen Herausforderungen im EWV ist die technische Ausstattung, trotz erheblicher Verbesserungen in den vergangenen Jahren, noch immer unzureichend gegenüber anderen Verkehrsträgern. Technische Weiterentwicklungen, umgesetzte wie vorgeschlagene, optimieren häufig den Hauptlauf und die Prozesse in Zugbildungsanlagen, während Abläufe in der Gleisanschlussbedienung nicht oder nur eingeschränkt von ihnen profitieren.

Ziel des Projekts Digitaler, Automatisierter Güterwagen auf der letzten Meile (DAWN-LM) ist daher die Einführung von Automatisierungsfunktionen sowie digitalen Schnittstellen, um Abläufe bei Versendern von Einzelwagen zu unterstützen.

Abbildung 3: Aufteilung der Kosten im EWV
Abbildung 3: Aufteilung der Kosten im EWV (Quelle: nach [3])

Lösungsansatz

Die Beiträge des DAWN-LM lassen sich in Digitalisierung, Automatisierung sowie gemeinsame Beiträge gliedern.

Das System DAWN-LM besteht aus dem eigentlichen Wagen, kurz DAWN genannt, und den übergeordneten digitalen Systembestandteilen. Diese übergeordneten Systembestandteile machen die Integration in die erste und letzte Meile innerhalb des Logistik- und Eisenbahnsystems der Versender möglich und helfen so, die gesamte Leistung des DAWN zu nutzen (Abbildung 4).

Für alle hier vorgeschlagenen Ergänzungen im Güterwagen gilt eine erhebliche Preissensitivität. Die Erhebung von Anforderungen im Kreis der Zielgruppen sowie eine Entwicklung mit Geschäftsmodellen im Blick wird daher konsequent umgesetzt.

Abbildung 4: Aspekte des DAWN-LM
Abbildung 4: Aspekte des DAWN-LM (Quelle: RWTH Aachen University)

Digitalisierung

Digitaler Zwilling

Der digitale Zwilling des DAWN-LM hat zum Ziel, die Längsdynamik des Wagens unter Berücksichtigung der Beladung, des Ladezustands des Fahrzeugs sowie der Topologie der Strecke zu spiegeln. Dazu sollen Bremsprozesse, insbesondere der elektrodynamischen Bremse, unter Berücksichtigung des freien Fahrwegs und des Ziels der Fahrt simuliert werden. Damit ist gewährleistet, dass DAWN-LM jederzeit ausreichend Informationen über den Zustand von Fahrzeug und Ladung hat, um die effektive Integration zu ermöglichen.

Edge Computing

Die Längsdynamik-Simulation, wie auch die sonstige Datenverarbeitung und Datenfusion werden lokal auf dem DAWN durchgeführt. Hierzu dient ein Smart-Edge-Device, das in der Lage ist, KI-Modelle angemessener Größe direkt auf dem Fahrzeug auszuführen.

Logistikanbindung

Die Anbindung an die bestehenden Logistiksysteme der Versender soll über eine offen dokumentierte API-Schnittstelle erfolgen, mit der ein Fahrtziel vorgegeben werden kann. Da in Anschlussbahnen Handweichen oder EOW-Systeme überwiegen, ist DAWN-LM zunächst nicht in der Lage, Fahrstraßen zu stellen. Es soll jedoch möglich sein, bei bestehender Fahrstraße bspw. eine Ladestelle anzufahren.

Kommunikation

Der DAWN verfügt über eine Mobilfunkanbindung, um die Kommunikation zu den übergeordneten Komponenten zu ermöglichen. Diese Verbindung, wie auch die Verbindung zur Sensorik, bleiben während des Hauptlaufs verfügbar und können damit Logistikprozesse über die Werksbahn hinaus unterstützen sowie für Zustandsüberwachung und optimierte Instandhaltung genutzt werden.

Für die lokale Kommunikation mit Nutzer*innen des DAWN-LM wird eine WLAN-Verbindung vorgehalten, die beispielsweise das assistierte Verfahren mittels Tablet ermöglicht.

Für eine Nachrüstung der DAWN mit der digitalen automatischen Kupplung (DAK) ist es vorgesehen, die Kommunikationswege der DAK im Zugverband vornehmlich während des Hauptlaufs zu nutzen. Als Protokolle eignen sich MQTT (Message Queueing Telemetry Transport) aus dem Bereich Internet der Dinge oder ROS (Robot Operating System) aus den Bereichen Robotik und fahrerloses Fahren.

Zustandsüberwachung

Um den DAWN zur Eigenfahrt zu befähigen, soll ein Drehgestell-Nachrüstsatz entwickelt werden. Da im bestehenden Güterwagen-System die Drehgestelle mit Bremse und Radsätzen eine hohe Schadenshäufigkeit aufweisen, liegt hier das primäre Ziel der Zustandsüberwachung. Um eine sichere Fahrt zu gewährleisten, wird zusätzlich die Bremse überwacht.

Weiterhin soll der Zustand und die Verfügbarkeit aller neu ins System aufgenommenen Komponenten, also vornehmlich des Energiespeichers, des Antriebs-systems und der Sensoren zur Umfeldüberwachung überwacht werden.

Für die Logistikprozesse ist neben der hohen Verfügbarkeit der Wagen ebenfalls der Zustand des Ladeguts von Interesse, so können beispielsweise Ladeguttemperaturen oder Türöffnungen in das DAWN-System übertragen werden.

Aus eisenbahnbetrieblicher Sicht ist das Zusammenspiel von Wagen und Ladung, zum Beispiel zur Berechnung des Bremsgewichts und zur Vermeidung von Überladungen, von großem Interesse. Da dies grundsätzlich am Drehgestell zu bestimmen ist, soll eine Sensorik zur Bestimmung der Masse der Ladung entwickelt werden.

Wie bereits oben erwähnt, ist eine angemessene Kostenbasis zu den möglichen Effekten einer Überwachung ausgesprochen wichtig. Sollten die Sensordaten trotz wirtschaftlicher Auslegung ein Monitoring der Infrastruktur ermöglichen, so sollen die Ergebnisse an die Betreiber der Eisenbahninfrastruktur übermittelt werden.

Automatisierung

Umfelderkennung

Das Ziel des Projekts ist es, eine eigenständige Fahrbewegung des Güterwagens zu ermöglichen. Mit Blick auf vergleichbare Projekte, wie FlexCargoRail[4, 5] oder Cargo Sprinter, lässt sich vermuten, dass eine angemessene Form der Automatisierung der Verfahrbewegung zu höherer Akzeptanz führen kann. Im Projekt DAWN-LM wird daher angestrebt, die einzelnen Wagen mit einer äußerst kostengünstigen Umfeldsensorik auszustatten. Diese soll Verfahrgeschwindigkeiten im unteren Bereich des Rangierbetriebs erlauben. Diese weisen selbst unter Nutzung der selbsttätigen Bremse äußerst kurze Bremswege auf, sodass die Sensorik nur eine kurze Distanz des freien Fahrwegs absichern muss.[6]

Es ist hervorzuheben, dass viele Lokomotiven im Werksbahnbereich im Schnitt lediglich mit weniger als 5 km/h fahren.[7] Hier kann ein automatisches Fahrzeug mit größerer Geduld und wirtschaftlicher Ausstattung im Bereich eines automatischen Flurförderfahrzeugs konkurrieren.

Bremse

Die Eingriffe in das Bremssystem sollen aufgrund der Zulassungsrelevanz auf ein Minimum beschränkt sein. Der DAWN muss trotzdem in der Lage sein, sich selbst zu bremsen und gegen Wegrollen zu sichern.

Für Betriebsbremsungen sollen die Antriebsmotoren genutzt werden. Aufgrund der geringen Leistung führt dies zu längeren Bremswegen, was im Widerspruch zur Gestaltung der Sensorik steht. Ergänzend muss daher beispielsweise eine elektromotorische Bremse vorgesehen werden.

Antrieb

Auch der Antrieb muss kostengünstig und wartungsarm gestaltet sein. Es ist vorgesehen, einen elektrischen Antrieb, möglicherweise in Form eines Asynchronmotors mittels eines Reibrads oder eines Zugmittelgetriebes mit einem Radsatz zu verbinden.

Im Rahmen der Anforderungserhebung wird ein Lastenheft für das Antriebssystem erarbeitet, worauf dann die Entwicklung aufbaut.

Zentrale Beiträge des Digitalen Automatisierten Güterwagens

Fahrzeugsteuerung

Der DAWN verfügt über eine Steuerung, um die Funktionen der Automatisierung umzusetzen. Diese Steuerung kann darüber hinaus auch für Aspekte der Digitalisierung genutzt werden.

Energieversorgung

Wichtig für Innovationen im Güterwagenbereich ist eine Energieversorgung. Hier ist eine vom Triebfahrzeug unabhängige, leistungsfähige Stromversorgung vorgesehen. In der Konzeptionsphase werden, abhängig von den Anforderungen, die Systemspannung und die Kapazität festgelegt.

Ebenfalls muss festgelegt werden, wie das Laden des Energiespeichers erfolgen soll: möglich ist neben einer Steckerlösung ebenfalls das Rekuperieren im Hauptlauf. Hier ist neben der Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Umfang einer eventuellen Änderungszulassung zu beachten.

Abbildung 5: Möglicher Ablauf im Zielszenario
Abbildung 5: Möglicher Ablauf im Zielszenario (Quelle: RWTH Aachen University)

Zielszenario und Ausblick

Die DAWN bewegen sich auf dem Werksgelände automatisch oder assistiert. Bei Betrieb nach Maschinenrichtlinie kann das Verfahren mit der Assistenz durch das System mit Werkspersonal durchgeführt werden. Das Be- oder Entladen kann überwacht werden, Nachrückbewegungen an der Ladestelle können automatisch ausgeführt werden.

Nach Abschluss der Ladeaktivitäten fährt der DAWN zum Zugbildungsgleis und wird mit anderen Wagen zu einem Zug zusammengestellt.

Der Zug wird vom Eisenbahnverkehrsunternehmen im Hauptlauf, gegebenenfalls über mehrere Zugbildungsanlagen, zur Anschlussbahn der Senke befördert.

Im Hauptlauf verhält sich der DAWN weitgehend passiv. Das Monitoring bleibt aktiv, je nach Möglichkeit wird der Energiespeicher geladen. An der Senke schaltet der DAWN wieder in den aktiven Modus und unterstützt die Fahrbewegungen dort. Der Ablauf im Zielszenario ist in Abbildung 5 dargestellt.

Danksagung
Das Projekt DAWN-LM wird vom mFUND des Bundesministeriums für Verkehr unter dem Förderkennzeichen 01FV2072A gefördert. Die Arbeiten im Projekt finden gemeinsam mit der zentralen Bahnwerkstatt der RWE Power AG statt.

Quellen
[1] Bundesamt für Logistik und Mobilität (2024): Anteil der Eisenbahn an der Transportleistung im Güterverkehr in Deutschland in den Jahren von 2013 bis 2026 und das Ziel der aktuellen Bundesregierung für das Jahr 2030.

[2] Bundesnetzagentur (2022): Marktuntersuchung Eisenbahnen 2021.

[3] Bundesnetzagentur (2022): Sondererhebung Einzelwagenverkehr.

[4] Kochsiek, Joachim (2009): FlexCargoRail: Beiträge zur Verbesserung von Betriebsverfahren und zur Einbindung in Transportkonzepte. In: ZEVrail 1/2.

[5] Baier, Martin, Enning, Manfred (2006): FlexCargoRail-ein Fahrzeugsystem für effizienten Einzelwagenverkehr. In: Logistik Management 8/3.

[6] Pfaff, Raphael (2023): Braking distance prediction for vehicle consist in low-speed on-sight operation: a Monte Carlo approach. Rail. Eng. Science 31, online unter: https://doi.org/10.1007/s40534-023-00303-7.

[7] Wille, Nicolas, et al. (2020): Identifizierung von Forschungsansätzen und technischen Grundlagen zur Entwicklung eines leiseren, umweltfreundlicheren und betriebswirtschaftlich darstellbaren innovativen Triebfahrzeugs für bislang nicht elektrifizierte Netze. SCI Verkehr GmbH.


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