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Resilienz der Schiene

Warum wir trotz Herausforderungen stärker denn je sind

Foto: DB AG/Georg Wagner
Foto: DB AG/Georg Wagner

Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren für die Wirtschaft und auch für Konsumenten eine Herausforderung. Sie haben vor allem eines gezeigt: Eine arbeitsteilige Exportwirtschaft braucht ein starkes Rückgrat. Resiliente Lieferketten sind ein Rückgrat für uns alle in schwierigen Zeiten. Blicken wir zurück: Ob Corona-Lockdown, ob Grenzschließungen, der Brexit oder ein Angriffskrieg mitten in Europa: Der Schienengüterverkehr zeigt sich robuster denn je. Die Resilienz des bewährten Systems kommt aber nicht von selbst.

Es bedarf einem hohen Augenmerk auf die Infrastruktur. Ein stabiles Gesamtsystem aus Rad und Schiene ist Voraussetzung für Sicherheit in bewegten Zeiten. Darüber steht für mich allerdings der Mensch: Wir dürfen sie auf diesem Weg nicht alleine lassen, sondern müssen sie mitnehmen. Und die Einstellung, die wir zu Veränderung und Wandel entwickeln, entscheidet, ob wir Herausforderungen als Chancen begreifen.

Die Stabilität der Lieferketten
ist zunehmend im Fokus

Vor knapp zwei Jahren fragte mich ein Journalist einer überregionalen Tageszeitung, ob und wie wir bei DB Cargo den Wegfall der klassischen Kohlezüge wirtschaftlich kompensieren könnten. Dieselbe Redaktion fragte mich vor wenigen Wochen, wie wir es denn schaffen würden, möglichst viele Kohlezüge auf die Schiene zu bringen, um die Energieversorgung deutscher Kraftwerke zu sichern.

Das Beispiel zeigt, wie schnell sich Dinge verändern können. Politische und wirtschaftliche Entwicklungen, die lange als vorhersehbar galten, sind es nicht mehr. Das führt dazu, dass auch bisherige Systeme und Abläufe in Frage gestellt werden. „Just-in-Time“, besser noch „Just-in-Sequence“ waren lange Zeit das Mantra der Logistik für Industrieproduktionen. Weil Versorgungsketten für Produktionsunternehmen Automobilfabriken einmal rund um den Globus und quer über unseren Kontinent vernetzt sind, stoßen diese Lieferketten an ihre Grenzen. Der Vorstand eines der größten deutschen Industrieunternehmen erzählte mir kürzlich von einem komplett geänderten Mindset: „Die Stabilität unserer Produktion ist ganz neu in den Fokus gerückt.“

Der Schienengüterverkehr ist genau solch ein Garant für Stabilität. Obwohl gerade in den letzten Monaten auch die Kund*innen des Güterverkehrs auf der Schiene spürten, dass die Kapazität auf der Schiene knapp ist. Der CO2-Footprint der Schiene ist so gering, dass die Entscheidung für die Schiene nahezu alternativlos ist. Das ist eine positive Entwicklung. Aber zugleich wird auch zunehmend deutlich, dass in den letzten Jahrzehnten mehr in die Schiene hätte investieren werden müssen.

Am Ende zählt aber und das ist wichtig: Jeder Zug kommt an sein Ziel und die Kolleg*innen sind hochengagiert, motiviert und sorgen heute und auch in Zukunft dafür, dass der Spagat zwischen Modernisierung der Infrastruktur und mehr Verkehr auf der Schiene gelingt.

Die Schiene als Rückgrat der Wirtschaft: Vectron-Lokomotive von DB Cargo (Foto: DB AG/Steve Wiktor)
Die Schiene als Rückgrat der Wirtschaft: Vectron-Lokomotive von DB Cargo (Foto: DB AG/Steve Wiktor)

Die Schiene steht für Zuverlässigkeit und Resilienz in schwierigen Zeiten

Für die deutsche und europäische Wirtschaft wird die Logistik zunehmend zum Schlüssel der Dekarbonisierung. Da ist es wichtig, über die Grenzen des Systems Schiene hinauszudenken und zu analysieren: Was passiert bei Logistikketten auf der Straße, auf dem Wasser, in der Luft? Wie berechenbar ist die Ankunft eines Containers auf dem Weg zwischen Shanghai und Saßbachwalden mittlerweile geworden?

Als im ersten harten Corona-Lockdown urplötzlich europäische Grenzen geschlossen wurden, sich tageweise LKW an den Grenzen staute, kam der Güterzug immer durch. Grenzüberschreitender Verkehr – auch mit Wechsel des Personals an den Grenzen funktioniert. Dabei ersetzt ein Güterzug bis zu 52 Lkws.

Über die Verkehrsverlagerung auf die Schiene wird durch den Gleisanschluss in Wanne-Eickel genauso entschieden wie durch das Terminal in Verona

DB Cargo kam und kommt gerade in herausfordernden Zeiten eine herausragende Rolle zu. Denn die DB Cargo mit rund 30.000 Mitarbeitenden in 18 Ländern verfügt als einzige Güterbahn über ein europäisches Netzwerk. Schon heute fahren rund 60 Prozent der Verkehre über mindestens eine Landesgrenze. Schienengüterverkehr kann also nur europäisch gedacht werden. Über die Verkehrsverlagerung auf die Schiene wird durch den Gleisanschluss in Wanne-Eickel genauso entschieden wie durch das Terminal in Verona.

Allein in Deutschland gibt es mehr gibt es mehr als 2.000 und europaweit rund 4.000 Zugänge in dieses Netzwerk. Das sind beachtliche Zahlen, auch wenn alle Kritiker*innen zu Recht anmerken, dass in der Vergangenheit Gleisanschlüsse in erheblichem Umfang zurückgebaut wurden.

Wir alle wissen, dass es lange dem Zeitgeist entsprach, dem Lkw-Verkehr den Vorzug zu geben. Der Glaubenssatz: „Der LKW ist flexibler und kostengünstiger“, galt lange als richtig. Denn die Kosten der Umweltverschmutzung und der Versiegelung der Landschaft mit Straßen und der Staueffekte wurden lange nicht betrachtet.

Das hat sich geändert – ja ändern müssen – denn wir alle merken spätestens jetzt: So wird es nicht weitergehen. Oder um es mit Barack Obamas Worten zu sagen: „Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt. Und wir sind die letzte, die etwas dagegen tun kann.“

Es gibt noch eine weitere Rolle, die DB Cargo einnimmt: die der Nothelferin.

Der Schiene kommt eine große politische Bedeutung zu

Zehn Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine konnten wir als DB Cargo den ersten Zug mit Hilfsgütern über Polen an die Kolleg*innen der ukrainischen Bahn übergeben. Heute, ein gutes halbes Jahr später, können wir weit mehr als 1.200 Containerladungen mit rund 25.000 Tonnen an humanitären Hilfsgütern bilanzieren, die in der ganzen Ukraine verteilt werden.

Voller Bewunderung bin ich für die Kolleg*innen der ukrainischen Bahn. Unter Einsatz ihres Lebens halten Sie den Personen- und Güterverkehr aufrecht und bauen ihn sogar aus. Denn gerade in diesem Krieg wird sichtbar, dass Logistik ein sehr entscheidender Faktor ist – auch zur Verteidigung. Es kein Zufall, dass der vermeintlich „gute alte Güterzug“ immer dann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, wenn globale Herausforderungen entstehen.

So auch in der aktuell schwierigen Energieversorgungssituation. Bei DB Cargo läuft gerade das größte und schnellste Güterwagen-Reaktivierungsprogramm aller Zeiten. Mehr als 1.000 Güterwagen werden reaktiviert und mit Flüsterbremsen ausgestattet, um aus ganz Europa Kohle nach Deutschland zur Versorgung unserer Kohlekraftwerke zu transportieren. Angesichts der Situation ist es folgerichtig, dass diese Züge Priorität im deutschen Schienennetz bekommen – wenn erforderlich, auch Priorität gegenüber dem Personenverkehr. Die Energiesicherungstransportverordnung (EnSiTrV) der Bundesregierung gibt dafür den Rahmen.

Zur Sicherung der Energieversorgung werden 1.000 Güterwagen reaktiviert, um Kohle aus ganz Europa nach Deutschland zu transportieren (Foto: DB AG/Wolfgang Klee)
Zur Sicherung der Energieversorgung werden 1.000 Güterwagen reaktiviert, um Kohle aus ganz Europa nach Deutschland zu transportieren (Foto: DB AG/Wolfgang Klee)

Kurzfristige Maßnahmen und langfristige Strategie gehen Hand in Hand

Als ich vor längerer Zeit einen Kunden besuchte, der an einem großen Rheinhafen produziert, erklärte er mir, wieso er trotz direkter Lage an einem Hafenbecken künftig lieber auf die Schiene setzen will: „Der Klimawandel mit den ständigen Niedrigwassern – oder auch extremen Hochwassern – am Rhein, ist für uns nicht mehr kalkulierbar. Wir setzen hier lieber auf die Schiene, die ist verlässlicher und effektiver als alles andere.“ Die Wasserpegel im Sommer 2022 sollten seine Worte eindrucksvoll bestätigen.

Allein wir als DB Cargo fahren aktuell rund 3.000 Züge am Tag auf dem deutschen Schienennetz. Und wir alle wissen, dass diese Züge eine Infrastruktur nutzen, die lange nicht die monetäre Aufmerksamkeit bekommen hat, die sie dringend benötigt. Hier steuern wir nach – unter Hochdruck mit intensiver Instandhaltung und Baustellen.

Baustellen behinderten das Fahren, aber Bauen ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Denn: Die deutsche und europäische Industrie stellt mit hoher Geschwindigkeit auf CO2-neutrale Produktion um. Dazu gehören natürlich auch die Logistikketten – und ihr Rückgrat, eine leistungsfähige Infrastruktur!

Und es gibt kein umweltfreundlicheres Transportmittel als die Schiene. Mittlerweile fragen Kund*innen sowie die Politik nicht mehr OB Güter auf die Schiene gehören, sondern WIE und WANN können wir das schaffen. Ein mutmachendes Signal: Wir haben mit der Schiene ein Umwelt-Netz, was um die 35.000 Kilometer groß ist, Gleisanschlüsse und nicht-bundeseigene Strecken mit eingerechnet. Darauf können wir in Deutschland stolz sein. Das gilt es zu nutzen und zu pflegen.

Transportkapazität und –qualität entscheiden sich in der Infrastruktur

Die Verkehrsleistungen auf der Schiene sind seit der Bahnreform im Jahr 1994 stark gestiegen, das ist auch gut so. Der Personenverkehr ist um 56 Prozent gewachsen, der Schienengüterverkehr sogar um 83 Prozent! Das Einzige, was nicht gewachsen ist, ist die Infrastruktur. Das ist glücklicherweise erkannt und der Bund investiert kräftig. Diese Investitionen brauchen wir, um ein nachhaltiges Wachstum möglich zu machen. 13,6 Milliarden Euro werden durch den Bund allein in diesem Jahr für Sanierung, Aus- und Neubau in das Schienennetz gesteckt. Dabei gilt: Langfristige Planbarkeit und punktgenaue Umsetzung der Baumaßnahmen sind von zentraler Bedeutung für die Resilienz und Verlässlichkeit des Schienenverkehrs.

Wie schon in vielen Medien berichtet, werden durch eine Bündelung von Baumaßnahmen, in Korridorbaustellen, die neuralgischen Knotenpunkte des DB-Netzes in den nächsten Jahren „kernsaniert“. Eine mehrmonatige Sperrung wichtiger Nadelöhre klingt hart. Es ist aber besser planbar als eine Route mit immer wiederkehrender, kleinteiliger Sanierungstätigkeit.

Ein zweiter Vorteil: Die Infrastruktur soll nicht nur „eins zu eins“ erneuert, sondern leistungsfähiger werden – auch durch die digitale Ausrüstung der Strecken. Damit können wir ein Mehrverkehr auf der bestehenden Infrastruktur möglich machen. Das entspricht auch den Bedürfnissen der stetig wachsenden Verkehrsnachfrage auf Schienen.

Ein weiterer Anker für mehr Stabilität ist seit Jahrzehnten bekannt, jetzt kommt er wieder zum Einsatz. Überleitstellen, Weichen, Abstellgleise, leistungsfähige Rangieranlagen und auch hier Redundanzen im Denken und Handeln werden dazu führen, dass wir bei gleichen Hauptgleisen mehr fahren können. Die Vorteile liegen auf der Hand und es werden die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte korrigiert und mehr Flexibilität für die Zukunft ermöglicht. Wenn wir nun ebenso entschlossen den Ausbau des 740-Meter-Netzes für unsere Güterzüge weiter vorantreiben, sind die Weichen richtiggestellt.

Wir fahren heute schon wieder mehr Fracht auf der Schiene als vor der Pandemie! Und das schaffen wir, trotz einer Rekordzahl von Baustellen. Und wir haben auch einem anderen Phänomen getrotzt: Die Folgen des menschengemachten Klimawandels sind auch längst in Deutschland angekommen. Wer hätte gedacht, dass eine Flutkatastrophe deutsche Flüsse zu einer tödlichen Falle für hunderte von Menschen werden lässt? Und dabei auch im großen Stil, Bahnstrecken, Brücken, und ganze Güterbahnhöfe wie München Nord für Tage lahmlegen und dort bis heute noch zu Einschränkungen führen?

Was aber auch deutlich wird: Verlässliche Systeme brauchen Redundanzen, also Rückfallebenen. Das ist gewissermaßen die DNA aller Prozesse bei der Bahn, ob in der Infrastruktur, im Betrieb oder in der Fahrzeugtechnik. Das gilt natürlich und sogar insbesondere für alle digitalen Systeme.

Bei der DB Cargo wird deutlich, dass jeder Schritt zum digitalen Güterzug uns heute schon große Vorteile bringt – und direkt unseren Kund*innen nutzt. Die Ausrüstung aller Güterwagen mit Sensoren und solarbetriebenem GPS-Sendern hilft, Ladung und Güterwagen stets im Auge zu behalten. Industriekunden können ihre Produktionsprozesse „in Echtzeit“ steuern, weil sie auch bei großen Frachtmengen einen besseren Überblick zur Wagenverfügbarkeit und Frachtverlauf haben. Wir machen Güterwagen intelligent – und schaffen mit diesen Informationen eine verlässliche und transparente Lieferkette.

Wir wissen, dass die beste Störung jene ist, die behoben ist, bevor sich Auswirkungen zeigt. Auch hier hilft Digitalisierung: So setzen wir beispielsweise bei der Schadwagenerkennung auf digitale Kamerabrücken, die direkt am Ablaufberg bei der Zugbildung jeden Wagen prüfen. Die KI-Software dahinter lernt – indem auch erfahrene Wagenmeister*innen das Programm mit entwickeln und ihr Fachwissen einbringen.

Im Bereich künstlicher Intelligenz (KI) erforscht die DB derzeit auch die Koordination und Netzsteuerung im Störungsfall. Die Ergebnisse aus den Untersuchungen der S-Bahn-Netze sind ermutigend und fordern uns im besten Sinne heraus. Wie lassen sich solche Großstörungen auch auf größere Räume und komplexere Systeme erweitern? Jeder, der schon einmal den Laufweg einer Wagenladung von Südschweden nach Sizilien koordiniert hat, weiß wieviel Unwägbarkeiten – aber auch kalkulierbare Risiken – auf einer solchen Cargodistanz entstehen können. Wenn künstliche Intelligenz die reiche Erfahrung eines Disponenten unterstützt, ist uns allen geholfen.

Auf die Menschen kommt es an: Mitarbeitende von DB Cargo beim Einbau einer Digitalen Automatischen Kupplung (Foto: DB AG/Oliver Lang)
Auf die Menschen kommt es an: Mitarbeitende von DB Cargo beim Einbau einer Digitalen Automatischen Kupplung (Foto: DB AG/Oliver Lang)

Der Mensch ist entscheidend

Womit ich zur wichtigsten Ressource für Resilienz komme: Die Mitarbeitenden der Eisenbahn und der Logistik. Denn Menschen können mit Veränderungen, auch sehr abrupten Veränderungen, für die noch nie etwas programmiert wurde, umgehen.

So sehr wir uns alle nur Regelbetrieb wünschen, so wichtig ist, dass wir schnell, kundenfreundlich und in der Herausforderung verlässlich reagieren – um dann schnell wieder in den Regelbetrieb zurückkehren zu können. Das zeichnet traditionell die Arbeit bei der DB aus. Gerade wenn die Herausforderungen groß werden, sind wir in unserem Element – für einen funktionierenden Eisenbahnbetrieb, für ein funktionierendes Deutschland!

Meine Perspektive

Sigrid Nikutta
Sigrid Nikutta (Foto: DB AG)

Klimatische, geopolitische und wirtschaftliche Entwicklungen, die lange als vorhersehbar galten, sind es nicht mehr. Lieferketten stoßen an ihre Grenzen. Immer häufiger erleben Dinge, die wir noch vor einigen Jahren, Monaten für unmöglich gehalten hätten.

Jetzt kommt es darauf an, strategisch zukunftsorientiert und pragmatisch schnell gleichzeitig zu reagieren und zu agieren. Zukunftsorientiert ist die massive Stärkung der Infrastruktur – auf der Schiene, aber auch in allen anderen Bereichen des Lebens. Denn das Fundament muss da sein.

Und dann geht es um die optimale und schnelle Nutzung der vorhandenen Infrastrukturen. Für die Logistik ist es ganz klar. Umweltfreundlichkeit sollte der Transportmaßstab der Zukunft sein. Und hier ist die Schiene auf Platz Eins. Stahl auf Stahl ist die energieeffizienteste Art und Weise des Transports.

Resilienz in Krisen ist leider die Herausforderung unserer Zeit. Und damit bekommt der Schienengüterverkehr in Deutschland und in Europa die Rolle, die er schon längst verdient hat. Umweltfreundlich und krisenfest – das zeigen wir jeden Tag. Es gilt das, was seit über 50 Jahren politischer Slogan ist: Güter gehören auf die Schiene. Jetzt haben wir das historische Zeitfenster, das auch Wirklichkeit werden zu lassen. Für die Umwelt, für Energiesicherheit, für herausfordernde Zeiten und für die Versorgung Europas.


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